Türkei - 1.Teil
10.Juli 2012 - 14.Juli 2012
Istanbul
Wer kennst sie nicht, diese Skyline aus tausendundeiner Nacht, diese schlanken Minarette der berühmtesten Moscheen der Welt, die sich anmutig und elegant in den Abendhimmel schrauben. Doch diese Skyline eröffnet sich dem Besucher nicht sofort, wenn er die Stadt erreicht.
So geht es den Besuchern seit über zweieinhalbtausend Jahren. Zuerst ist es Byzanz, das sich über mehr als achthundert Jahre neben Rom zur bedeutendsten Stadt der Antike entwickelt. Der Perserkönig Dareios, Phillip von Mazedonien, Alexander der Große und schließlich die römischen Legionen, sie alle belagern und zerstören diese einmalige Stadt, doch sie steht immer wieder auf.
In Gegenteil, sie wird zur schönsten Stadt der Welt. Konstantinopel heiß sie jetzt, als Gegenpol zu Rom überlebt sie die ehemalige Kolonialmacht um Jahrhunderte. Dann kommen die Kreuzfahrer, die Venezianer und schließlich die Osmanen. Jedes Mal wird sie zerstört und ihrer Schätze beraubt, doch prächtiger denn je wieder aufgebaut. Unter den Osmanen wird sie zur Metropole, zum Mittelpunkt eines riesigen Reiches. Doch Verschwendungssucht und politische Veränderungen in der moderner werdenden Welt lassen den Reichtum langsam verblassen.
Die Türkei wird geboren, eine Republik entsteht. Und Istanbul, wie sie seit einiger Zeit heißt, ist nicht mehr der Nabel der östlichen Welt. Doch sie bleibt, was sie immer war in Ihrer wechselvollen Geschichte – Schmelztiegel, Metropole, heimliche Hauptstadt…
Seit Stunden fahren wir durch den Siedlungsgürtel, die Vororte, jeder mal eben ungefähr eine Million Einwohner stark, gehen konturlos ineinander über. Gesichtslose Betonklötze der modernen Zeit überragen die über Nacht aufgestellten Wellblechhütten der Hoffnungslosen, dazwischen verlieren sich die Minarette kleiner Moscheen, Inseln der Gläubigen. Schwarzer Ruß hunderter menschenfressender Busse verpestet die Luft, eine endlose Blechkarawane schiebt sich geduldig von irgendwo nach irgendwo.
Eingekeilt in diesen rollenden Lindwurm treiben wir unaufhaltsam unserem Ziel entgegen, dem Goldenen Horn, dem Topkapi Serail, der Hagia Sofia, dem alten Kern von Byzanz, von Konstantinopel, von Istanbul. Wir passieren die durchlässig gewordene Befestigungsmauer, es wird überschaubarer, die Stadt bekommt Struktur. Und dann sind wir plötzlich da, inmitten der Geschichte, die diese Stadt so entscheidend mitgestaltet hat. Ruhig, ja majestätisch, präsentieren sich die Relikte der Vergangenheit, souverän über der pulsierenden Gegenwart thronend.
Wir sind gefangen von der Symbolik, die Kraft der Geschichte wird uns bewusst. Wir streifen durch die Moscheen und Paläste, von denen aus die damalige Welt beherrscht wurde. Das heutige Leben aber, das spielt sich in den überdachten Basaren, in den schmalen Gassen, um die Galatabrücke ab. Wir spüren den Herzschlag dieser mitreißenden Lebendigkeit, tauchen ein, nehmen sie an.
Doch die Skyline, die Berühmte, die finden wir erst auf der anderen, auf der asiatischen Seite der Stadt. Hier, in Kadiköy, wo die Stadt viel beschaulicher und ruhiger erscheint, hier erst präsentieren sich Geschichte und Gegenwart in dieser einmaligen Linie über den dunklen Wassern des Bosporus. Und wenn dann abends die Sonne als glutroter Ball zwischen den schlanken Minaretten der berühmtesten Moscheen der Welt versinkt, so, wie sie es tagtäglich seit eintausendfünfhundert Jahren macht, dann erst versteht man den Zauber dieser Stadt wirklich…
Mal was zum Nachdenken…
Wir stehen am Ufer eines kleinen Stausees, irgendwo in Albanien. Ein etwa zehnjähriger Junge, bepackt mit einer Plastiktüte voller Einkäufe, bleibt staunend vor unserem „Manni“ stehen. Wir grüßen ihn, erwarten jeden Moment seine schüchterne Frage nach einer kleinen Aufmerksamkeit. Er greift in seine Einkaufstüte – und reicht uns zwei süße Zuckerstangen…
Er verabschiedet sich höflich und geht weiter seines Weges.
Wir sitzen am Strand im Süden Albaniens und genießen den Sundowner mit einem Glas Gin-Tonic, bevor wir den Grill anwerfen wollen. Vier junge Leute Mitte zwanzig grillen bereits vorne am Meeresufer. Plötzlich kommt einer von ihnen auf uns zu, mit einem Teller, beladen mit duftendem Grillgut.
„Hier, für Euch, lasst es Euch schmecken.“ - „Ach so, es ist etwas übrig geblieben, vielen Dank.“ – „Nein, ist nicht übrig, wir wollen Euch einfach etwas abgeben…“
Stellt uns den Teller auf den Tisch und geht zurück zu seinen Freunden.
Ein älterer Mann kommt an unserem Campplatz am Strand im südlichen Albanien vorbei und bittet uns zum Kaffee, wenn wir Lust haben. Im Moment haben wir gerade keine, doch als wir später weiterfahren wollen, gebietet es die Höflichkeit, vor seinem Uraltcamper, in dem er seit drei Monaten hier lebt, nochmals anzuhalten. Er freut sich tierisch und unser rudimentär geführtes Gespräch wird sehr lustig. Nach einiger Zeit wollen wir dann aber doch los.
Er geht in seinen Camper und gibt uns von seinen knappen Vorräten zehn kleine in Zeitungspapier eingewickelte, selbst gefangene Fische.
Katerini/Griechenland. Wir stehen an einer roten Ampel vor dem Stadtzentrum, auf der Suche nach der Straße in Richtung Saloniki. Plötzlich steigt der Fahrer des Autos direkt vor uns aus. „Also, in die Stadt mit Eurem Truck, das wird schwierig, das wird ganz schön eng.“ – „Wir wollen ja eigentlich auch gar nicht in die Stadt, wir suchen die Straße nach Saloniki.“ – „Da müsst Ihr jetzt genau in die andere Richtung, also am besten hier umdrehen und…“ – nach einem weiteren Blick auf „Manni“ – „ ach was, ich fahre voraus, fahrt mir einfach hinterher, ich lotse Euch durch die Stadt.“ Er steigt wieder in sein Auto, und los geht`s.
Nach zehn Minuten sind wir durch, an der Auffahrt zur Schnellstraße. Er hebt den Daumen und weg ist er.
Ein winziges Dorf irgendwo in der Türkei. Wir halten an einem kleinen Laden, erstehen eine halbe Melone und fünf Tomaten. Unsere Frage nach Nektarinen oder ähnlichem Obst wird mit Kopfschütteln verneint. Plötzlich geht die Frau in ihre Privaträume und kommt mit vier Pfirsichen zu uns zurück, lacht und steckt sie zu den Tomaten in die Tüte.
Der vorher errechnete Preis erhöht sich nicht.
Wir stehen am Ufer eines Sees in der Türkei. Zwei Lastwagenfahrer, die ihre Ladung Kies auf den dafür vorgesehenen Platz hinter uns abladen, kommen zu uns. Wir unterhalten uns ein wenig mit Händen und Füßen, sie verabschieden sich.
Etwa eine Stunde später kommen sie erneut, mit der nächsten Ladung Kies – und mit je einer Tüte Eiscreme und zwei Flaschen mit kaltem Wasser für uns, einfach so.
Zwei Frauen und ein Mann mühen sich, eine kleine Ladung Kies in ihrer Hofeinfahrt zu verteilen, mit den Füßen. Wir geben ihnen unsere Schaufel, um die ganze Aktion sinnvoller bewältigen zu können.
Wenig später kommt eine der Frauen zu uns, bringt uns einen Teller mit zehn Stücken verschiedener Kuchen.
Wir übernachten am Rand einer Obstplantage in der Türkei. Im Morgengrauen kommen die Bauern, grüßen uns, die wir noch im Bett liegen, durchs Fenster, und beginnen ihre Arbeit. Wir stehen auf und frühstücken. Plötzlich klopft es an unsere Tür.
„Merhaba, für Euch, herzlich willkommen!“ - Wir bekommen mehrere Kilo frisch geernteter Aprikosen und Sauerkirschen gereicht, einfach so.
Seit zwei Tagen stehen wir am Rand eines kleinen Dorfes direkt am Strand des Egirdir-Sees. Jeden Morgen grüßt uns eine Fischer, der mit seiner Tochter auf dem Mofa vom fischen kommt. An dritten Tag hält er bei uns.
Seine Tochter auf dem Sozius reicht uns eine Plastiktüte mit vier frisch gefangenen Seebarschen, der örtlichen Spezialität. Einfach so.
Verkehrte Welt?
Wann haben wir das letzte Mal so gehandelt, einfach so?
Türkei - 2.Teil
15.Juli 2012 - 31.Juli 2012
Das westanatolische Seengebiet
Während sich an den knallvollen Stränden um Antalya mitteleuropäische Bleichgesichter in der Hitze quälen, erwartet den mobilen Reisenden nur zwei bis drei Fahrstunden nördlich eine abwechslungsreiche Berglandschaft, in der eingebettet sich rund zwei Dutzend großer und auch winziger Seen befinden. Einige davon haben wir besucht, allen voran den Edirgir-Gölü. Fast so groß wie der Bodensee, rings herum begrenzt von wuchtigen Zweitausendern, begeistert er mit türkis schimmerndem, glasklarem Wasser und herrlich schattigen Übernachtungsplätzen direkt an den Ufern. Das Städtchen Edirgir liegt pittoresk auf einer weit in den See hinein reichenden Landzunge, ein quirliger Wochenmarkt macht unseren Besuch noch zusätzlich lebendig.
Der Kovada-Gölü dagegen ist im Vergleich winzig klein, liegt jedoch romantisch inmitten dichter Eichen- und Kiefernwälder. Leider bietet es sich nicht zum Baden an, da er sehr seicht ist und damit kaum Wasserbewegung hat.
Ganz in Süden dieser einsamen Berglandschaften des westlichen Taurus glitzert schon weit sichtbar der Karacaören-Stausee durch die grünen Wälder. Ein schmales Sträßchen schafft die Möglichkeiten, einsame Buchten anzusteuern, man ist hier definitiv ungestört, denn außer ein paar Ziegenherden und ab und an mal ein einsames Fischerboot kommt in dieser abgelegenen Gegend niemand vorbei.
Der Beysehrir-Gölü schließlich liegt am Rande des Edegöl-Gebirges, das sich hier bis auf fast 3000 Meter aufbaut. Die Ostseite ist allerdings geprägt von wogenden Weizenfeldern, in den Dörfern sind nun zur Erntezeit zentrale Dreschplätze eingerichtet. Die Ufer sind ziemlich verschilft, optisch zwar reizvoll, zum Baden jedoch schwierig, geeignete Plätze zu finden. Doch es gibt sie…
Es ist eine andere Seite der Türkei, die man in dieser Region kennen lernt. Abseits touristischer Pfade tauchen wir ein in das Land, wie es in seiner Ursprünglichkeit immer noch zu finden ist, wenn man bereit ist, sich fern der bekannten Sehenswürdigkeiten und überlaufenden Strände zu bewegen. Und die Menschen hier freuen sich, wenn man ihre Region besucht, immer wieder ergeben sich sehr nette und persönliche Kontakte. Wir haben uns sehr wohl gefühlt.
Wilde Bergwelt im östlichen Taurus-Gebirge
Wir unterschiedlich kann ein Gebirge doch sein. Im Taurus, diesem gigantischen Sperriegel zwischen Mittelmeer und zentralanatolischer Steppe, hat die Natur sich regelrecht ausgetobt.
Getrennt durch die Killikische Pforte, durch die schon die antiken Heerscharen auf ihren Eroberungszügen immer wieder gezogen sind, bilden hier die Bolkar Daglari im Süden und die Aladaglari im Norden eine lange Zeit unüberwindbare Barriere. Doch wie unterschiedlich zeigen sich diese beiden nachbarschaftlichen Gebirgszüge.
Wüstenartige Steppenlandschaft umgibt die Gipfel von Mendedsiz und Aydos, beide rund 3500 Meter hoch und die karge Landschaft weit überragend und bestimmend. Die Hochplateaus geben sich menschenfeindlich, winzige Bergdörfer trotzen den grausam harten Wintern und den brütend heißen Sommern. Dazwischen gibt es nichts. Die Gipfel lassen sich leicht erwandern, die Blicke reichen weit hinaus in die endlosen Ebenen.
Ganz anders dagegen die filigranen Spitzen des Aladaglari. Demirkazik und seine Nachbarn grüßen schon von Weitem, wenn man sich ihnen durch das fruchtbare Hochtal zu ihren Füßen ehrfürchtig nähert. Spitze Zackengrate, turmhohe Wände, furchterregende Kare – schwindelerregende Senkrechte tun sich auf, wenn man in die tiefen Schluchten und abgelegenen Hochtäler vordringt. Unzählige, schwer bezwingbare Klettergipfel ragen dicht nebeneinander in den Himmel, der sich hier sehr unbeständig zeigen kann. Die Gipfel wollen erobert werden, die Blicke bleiben schon an den nächsten Spitzen hängen.
Zwei sehr unterschiedliche Bergtouren bringen uns diese so verschiedenen Gebirge näher, jede auf ihre Weise spannend und abwechslungsreich. 3430 und 3756 Meter hoch über dem zentralanatolischen Bergland spüren wir die grenzenlose Weite…
Märchenlandschaft Kappadokien
Als die riesigen Vulkane, die vor Jahrmillionen in dramatischen Eruptionen meterhohe Ascheschichten um sich herum ablagerten, erkalteten, fingen Wind und Kälte an, die Landschaft neu zu modellieren. So entstanden surrealistische Gebilde aus Tuffgestein, die eine einmalige Landschaftsform und geschützten Wohnraum für Verfolgte schufen. Über tausend Höhlenkirchen boten den ersten Christen Trost, hunderttausende Wohnungen, richtige Städte, über- und unterirdisch gegraben in den porösen Stein, ermöglichten ein einigermaßen sicheres Dasein.
Eine Wanderung entlang diese Feenkamine, durch die schmalen Täler, wo Fabelwesen die Fantasie anregen und die Sonne die Farben immer wieder neu mischt, eröffnet dem aufmerksamen Entdecker eine einzigartige Laune der Natur. Fasziniert betrachtet der Wanderer die sich permanent verändernde Szenerie, jedes Tal fesselt mit seinen ihm eigenen Farben und Kunstwerken.
Die Felsenkirchen, herausgearbeitet aus dem porösen Stein, geschmückt mit einfachen Fresken, die zu stiller Bewunderung zwingen, sind die Schmuckstücke der Region. Doch es ist vor allem das Gesamtbild, das Staunen lässt.
Jeden Morgen, noch vor Sonnenaufgang, gleiten über hundert bunte Heißluftballons lautlos über die eigenwilligen Täler Sie tauchen ein in die Schluchten, schießen urplötzlich wieder hoch empor in den morgendlichen Himmel. Knapp über dem Boden suchen sie einen spannenden Weg, oder sie treiben elegant in luftiger Höhe dahin. Es ist ein Schauspiel ganz besonderer Art, der die Täler für eine Stunde zur Bühne für ein sehenswertes Spektakel macht.
Kappadokien ist sicher eine der spektakulärsten Gesamtwerke der Natur, ein bleibendes Erlebnis für jeden Besucher.
Türkei - 3. Teil
01.August 2012 - 12.August 2012
Nemrut Dagi - zum Ersten…
Also sprach Antiochos, König von Kommagene: „Als ich die Anlage dieses Hierothesions unzerstörbar durch die Schädigungen der Zeit in nächster Nähe der himmlischen Throne zu errichten beschloss, in welchem die bis ins Greisenalter hinein wohlerhaltene Hülle meiner Gestalt, nachdem sie die gottgeliebte Seele zu den himmlischen Thronen des Zeus-Oromazdes entsandt hatte, durch die unermessliche Zeit ruhen soll, da nahm ich mir vor, auch diesen heiligen Ort zur gemeinsamen Thronstätte aller Götter zu machen.“
Selten ist in der Antike ein beeindruckenderer Ort für eine Kultstätte gewählt worden. Noch heute, über 2000 Jahre nach der Errichtung dieser kolossalen Steinfiguren, ist dieser Platz hoch über der anatolischen Ebene von mystischer Harmonie geprägt. Selbst Erdbeben, die im Lauf der Jahrhunderte die steinernen Köpfe von den Schultern der riesigen Torsi haben stürzen lassen, konnten dem Ensemble der Ebenbilder von Mächtigen und Göttern nichts von ihrer Würde nehmen.
Wenn mit der leuchtend gelben Sonne früh morgens über den schroffen Bergspitzen Anatoliens langsam der neue Tag erwacht und die fein modellierten Köpfe der Götter und Herrscher Kommagenes in warmes Licht getaucht werden, dann erfasst demütiges Schweigen den Betrachter und man begreift die Großartigkeit des Augenblicks. Und wenn die höher steigende Sonne das karge Land weit unten in einen glühenden Backofen verwandelt, dann thronen die Wächter der Vergangenheit erhaben in der Kühle des lange Zeit schwer erreichbaren Gipfels. Und wenn nachts eisige Winde um die kahlen Höhen pfeifen, dann trotzen diese erhabenen Zeugen der Geschichte dort oben jeglichen Angriffen, so wie es Antiochos einst prophezeit hatte…
Nemrut Dagi – zum Zweiten…
Hoch über der unendlich scheinenden Wasserfläche des tiefblaue Van-Sees, inmitten der feindlich kahlen Berge und trockenen Hochebenen der ostanatolischen Steppe, da wartet ein gigantischer Vulkankrater auf seine Entdeckung. Steil führt die Piste über die gerölligen Flanken hinauf zu seinem Rand, ebenso steil geht es auf seiner inneren Seite wieder hinunter in die von mehreren eiskalten und warmen Seen geprägten Caldera.
Ununterbrochen blubbert es im Wasser, vulkanische Quellen speisen die Kraterseen in den unterschiedlichsten Temperaturen. Manche der Quellen sind so heiß, dass man sich verbrühen würde, wenn man ihnen zu nahe kommt. Tiefschwarzes Vulkangestein, federleichte Bimssteine und üppige Vegetation, ein nahezu senkrechter Kraterkessel von mehreren Kilometern Durchmesser über uns, ein glasklarer, dunkelblau schimmernder See – die urweltliche Szenerie lässt uns mehrere Tage bleiben.
Nachts bekommen wir regelmäßig spannenden Besuch – Schwarzbären durchstreifen unser Camp, wagen sich bis dicht an unseren „Manni“. Direkt unter unserem Fenster sitzen sie und schnappen sich die für sie ausgelegten Obst- und Gemüsereste. Sie scheinen wenig Angst zu haben, schauen zu uns auf, ohne sich wirklich stören zu lassen. Schon außergewöhnlich, diese nächtliche Begegnung…
Hoch über dem Van-See
Wir stehen auf fast 3000 Meter Höhe neben einigen leeren Schafpferchen, stockdunkel senkt sich die Nacht über uns herab. Plötzlich tauchen zwei Lichtpunkte am Hang auf, Hundegebell kündigt eine späte Herde an. Dann hören wir sie auch schon blöken, wie sie in einen der Pferche getrieben werden. Kurze Zeit später erhellt der Schein eines Lagerfeuers die Gesichter der Hirten, wir nähern uns zur Begrüßung. Sofort werden wir aufgefordert, Platz zu nehmen, der rußige, verbeulte Teekessel steht bereits auf dem Feuer. Ein ganzes Huhn wird mit dem Taschenmesser in handliche Stücke zerteilt und in einen Blechnapf zum kochen gelegt. Nüsse und Brot machen die Runde, der heiße und süße Tee wärmt. Bevor das Huhn fertig ist, verabschieden wir uns, wir wollen die Hungrigen nicht in die Verlegenheit bringen, mit uns zu teilen.
Zügig steigen wir auf zum Süphan, diesem weitläufigen Vulkan, der das Panorama am Van-See so nachhaltig prägt. Wir passieren eine weitere große Herde mit Schafen und Ziegen und werden gebeten, zu warten. Gemeinsam mit den beiden Hirten steigen wir hoch auf ein grasiges Plateau, das bereits in der Sonne liegt. Schaffelle werden ausgebreitet, ein kleines Feuer wird entfacht, der alte Teekessel darüber gestellt. Selbstgemachter Schafskäse wird ausgepackt, Brot und Oliven herumgereicht.
Lange sitzen wir mit den beiden kurdischen Hirten am Feuer, um uns herum mehr als hundert Tiere, die die grünen Matten genießen. Als wir schließlich aufbrechen, spüren wir wieder die Einmaligkeit der spontanen Situation, die sich uns hier eröffnet hat und wir wissen, warum wir uns für diese Lebensform entschieden haben. Die Bergtour, der Gipfel, sie werden fast zur Nebensächlichkeit…
Noch ein Wort zu unserer Reiseroute:
Der grausame Bürgerkrieg in Syrien mit zehntausenden Toten und noch mehr Flüchtlingen in der südöstlichen Türkei sowie die aktuellen Aktivitäten der kurdischen PKK und der entsprechenden Gegenschläge des türkischen Militärs haben uns veranlasst, auf den Besuch der historisch interessanten Grenzregionen zu Syrien und zum Irak zu verzichten. Aus diesem Anlass gibt es keine Berichte und Fotos aus Sanli Urfa und Harran, aus Mardin und Midyat, aus Hasankeyf und Hakkari. Wir schulden dies den von Leid geprägten Menschen und auch unserer eigenen Sicherheit.
Türkei - 4.Teil
13.August 2012 - 18.August 2012
Märchenpalast im Schatten des Ararat
Plötzlich ist der Himmel erfüllt, teilt eine leuchtend weiße Kuppe den endlosen Horizont, der sich fahl über die ostanatolische Hochebene spannt. Gebannt halten wir an, die schiere Größe des Berges vor uns ist unglaublich. Er überragt alles, nein, er erdrückt es fast mit seiner mondänen Präsenz, wir glauben kaum, was wir da wahrnehmen.
Es ist die Exklusivität, die ihn so bestimmend macht. Ganz alleine wächst er aus der Ebene über 3500 Meter empor, im stahlblauen Himmel erreicht er schlussendlich 5137 Meter. Was für ein Gigant!
Doch die Exklusivität hat ihren Preis. Rund € 900,00 würde uns eine Besteigung kosten – zu viel für unser Budget, auch für einen König wie ihn…
Nahezu kostenlos dagegen ist der Genuss des Ishak-Pascha-Palastes. Allein seine exponierte Lage ist ein Traum. Hoch über Dogubayazit thront die Anlage auf einer Felsnase und wacht noch heute über die weiten Ebenen. Verschiedenste Stilepochen vereinen sich hier zu einem ganz besonderem Schloss, zeigen eindrucksvoll die damaligen Lebensgewohnheiten. Und wenn abends die Sonne über der ostanatolischen Steppe in der staubigen Hitze versinkt und den Palast in ein fast unwirkliches Licht taucht, dann fühlt man fast die vergangenen Zeiten, hier, unter der schneebedeckten Kuppe des Ararats…
Oyuklu
Kahle Berge, sonst nichts. Eine lange Staubfahne, vom Wind zerrissen, kündigt schon von Weitem unser zufälliges Kommen an. Die steinige Piste erreicht ein unscheinbares Dorf. Geduckt schmiegen sich schmucklose Steinbauten und halb verfallene Lehmhütten in eine schützende Senke, lediglich der schlanke Turm der kleinen Moschee ragt trotzig in den wolkenlosen Himmel. Viehherden ziehen gelassen über die steilen Hänge oberhalb der Häuser, in den ausgewaschenen Gassen tummeln sich Gänse und Hühner, Kinder und Frauen blicken uns erstaunt nach. Riesige Heuhaufen für die Versorgung der Tiere und pyramidenartig aufgeschichteter Kuhdung zum Heizen kündigen bereits den nicht mehr fernen Herbst an.
Archaisches Leben geht hier nach wie vor seinen gewohnten Gang, nur einzelne Traktoren und Satellitenschüsseln auf den Hütten zeugen von der Moderne. Der Empfang ist herzlich, offenes Lachen in den Gesichtern heißt uns willkommen. Wir werden unaufgefordert sofort bewirtet, man kocht für uns, obwohl der noch andauernde Ramadan den Menschen hier tagsüber die Nahrungsaufnahme verbietet.
Wir bleiben. Den ganzen Tag genießen wir den unaufgeregten Ablauf des Tagwerks, beobachten die Menschen, sitzen mit ihnen im Schatten und palavern, lachen mit den Kindern. Der Nachmittag vergeht wie im Flug, gegen Abend pfeift bereits ein kühler Wind über die baumlosen Berge. Das Leben ist hart hier draußen, vor allem im Winter. Bis zu minus 30°C, meterhoher Schnee und eiskalter Sturm lassen die Menschen immer wieder ums überleben kämpfen.
Doch davon ist jetzt nichts zu spüren. Lebensfreude begleitet den Tag, wir bleiben über Nacht. Es wird für uns mitgekocht, die Tischplatte ist randvoll mit einfachen, aber schmackhaften Speisen, die dem kargen Boden abgerungen und selbst hergestellt sind. Männer und Frauen essen in verschiedenen Räumen, anschließend sitzen wir auf weichen Kissen entlang der Wand auf dem Boden und trinken Tee.
Am nächsten Morgen verabschieden wir uns von der großen Familie, die fast das halbe Dorf ausmacht, voll mit emotionalen Erlebnissen, ergriffen von der selbstlosen Gastfreundschaft. Die Umarmungen sind ehrlich, Tränen sind zu sehen – „wenn Ihr wiederkommt, ist das hier Eure Familie…“. Wir bedanken uns mit kleinen Geschenken für die Kinder, bekommen selbstgemachten Käse und Joghurt, Brot und Butter mit auf unseren weiteren Weg. Lange noch wenden wir unseren Blick und unsere Gedanken zurück in dieses unscheinbare Dorf mit seinen herzlichen und liebevollen Menschen…
Ani
Das mystische Dunkel der Geschichte gestattet Ani eine kurze Blütezeit, bevor die Heerscharen fremder Mächte und ein finales Erdbeben die Stadt der tausend Kirchen in Schutt und Asche legen. Hunderttausend Menschen sollen hier gelebt haben, in einer trostlos abgeschiedenen und kahlen Landschaft, geprägt von heißen Sommern und eiskalten Wintern.
Auch heute noch ist Ani ein geheimnisvoller Ort. Ein dreieckiges, steiniges Plateau, begrenzt von zwei Canyons, direkt an der armenischen Grenze und deshalb lange Jahre nur sehr schwer zugänglich, verbirgt hinter einer mächtigen Mauer sakrale Bauten aus dieser Zeit.
Ein aufziehendes Gewitter unterstützt das Geheimnisumwitterte, grelle Blitze zucken am schwarzen Horizont, schwere Tropfen klatschen gegen die porösen Mauerwerke. Die untergehende Sonne blitzt durch die dunklen Wolken, setzt die letzten Zeugen dieser Geschichte in ein gespenstiges Licht und zeichnet einen alles umspannenden Regenbogen an den stürmischen Abendhimmel.
Die Choreographie der Natur ist perfekt, unsere Sinne applaudieren dem Regisseur. Gelungener kann man Ani nicht erleben.
Ach ja - und wenn bei uns zuhause im Schlaraffenland mal wieder jemand darüber jammert, wie schwer das Leben doch ist, dann empfehlen wir ihm eine Saison in den Oyuklus dieser Welt…
Fazit Türkei
Sechs Wochen waren wir nun in diesem abwechslungsreichen Land unterwegs. Sechs Wochen, die uns von der brodelnden Millionenmetropole Istanbul bis zum abgeschiedenen kurdischen Dorf Oyuklu an der Grenze zu Armenien brachten. Nichts kann die Verschiedenartigkeit dieses Landes besser charakterisieren als die Gegenüberstellung dieser beiden Orte.
Es hat sich viel getan in der Türkei in den letzten Jahren – und auch wieder nicht. Die großen Metropolen sind moderner, aufgeschlossener geworden, Städte wie Kayseri, Konya oder Afyon sind nicht wiederzuerkennen. Das Straßennetz ist enorm verbessert, fast überall trifft man nun auf vierspurige Fernstraßen. Jedes Dorf ist an das Straßennetz angeschlossen, meist sogar mit Teer oder Pflastersteinen. Jedoch hat sich die Bevölkerung auch nahezu verdoppelt und hinterlässt eine unglaubliche Müllhalde. Es ist für jeden Türken absolut normal, überall alles einfach fallen oder liegen zu lassen. Und entsprechend vermüllt sieht es in jedem Dorf, an jedem Strand, an jedem Picknickplatz aus.
Kommt man in die Dörfer, so scheint die Zeit dann doch meist stehengeblieben zu sein. Gut, ein paar Traktoren mehr stehen heute zur Verfügung und die unvermeidbare Satellitenschüssel auf jedem Stall verändert das idyllische Bild, aber sonst ist eigentlich noch alles so wie vor 30 Jahren. Und das ist, wenn man mit den Menschen spricht, oft gar nicht so schlecht.
Die Situation der Frauen hat sich dagegen erheblich verändert. Sie bewegen sich heute in der Öffentlichkeit wesentlich freier und selbstbewusster als noch vor ein paar Jahren. Natürlich sind besonders in den ländlichen Gebieten die Traditionen nach wie vor im tagtäglichen bestimmend, doch man spürt auch hier, dass die jüngeren Frauen durchaus auch mal den Ton angeben.
Dass das heutige Gebiet der Türkei schon immer im Brennpunkt der Geschichte stand, erkennt man sehr schnell daran, dass sich eine unglaubliche Fülle an Zeugnissen menschlicher Kultur über das Land verteilt. Namen wie z.B. Hagia Sophia, Ephesus, Milet, Nemrut Dagi, Hatussa, Troja, Göreme und Ishak Pascha sind nicht nur Geschichtsprofis ein Begriff. Fast 10.000 Jahre Kultur vereinen sich hier zwischen Orient und Okzident.
Die fragile erdgeschichtliche Lage zwischen Europa und Asien hat das Land durch unzählige Vulkanausbrüche und Erdbeben immer wieder verändert und neu geformt. So entstanden gigantische Vulkane wie der Ararat, der Süphan oder auch der Erciyes, die ihrerseits wieder sensationelle Landschaftsformen schufen wie die Tuffsteintäler von Kappadokien oder die Region um den Van-See.
Der Massentourismus beschränkt sich Gott sei Dank auf wenige Brennpunkte wie die West- und Südküste, auf die Altstadt von Istanbul und die Höhlenkirchen in Kappadokien, ansonsten verliert er sich jedoch in der Weite des Landes. Und das ist gut so…
Eines hat sich in all den Jahrzehnten nicht verändert – die unglaubliche Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft. Egal ob man sich in einer Großstadt im Westen der Türkei oder in einem kurdischen Dorf in Ostanatolien befindet, die Herzlichkeit der Menschen ist einfach wundervoll. Und sie ist echt, diese Gastfreundschaft, keine wirtschaftlichen Hintergedanken stören die Einladung zum Tee oder zum Bleiben. Antalya, Alanya, Marmaris und Co möchte ich jedoch hiervon ganz bewusst ausnehmen, dort ist die alte Türkei schon längst verschwunden…
Jeden Abend stellten wir uns irgendwo in die Natur, an den Rand eines Dorfes oder ans Ufer eines Sees, nie hatten wir ein ungutes Gefühl, im Gegenteil, man beteuerte uns immer wieder, dass es keine Probleme gibt. Und nie wurden wir in irgendeiner Form belästigt, bedrängt oder gar angefeindet. Beim Einkaufen freute man sich, dass wir den Weg in genau diesen Laden oder an jenen Marktstand gefunden hatten, oft genug steckte man uns noch Zusätzliches in die Tüten. Immer wieder brachte man uns schon fertig Gegrilltes ans Auto oder lud uns spontan zum Tee ein, begleitet von einem ehrlichen „Merhaba“…
Die Türkei ist ein perfektes Reiseland, wir fühlten uns hier wirklich zuhause.
Georgien - 1. Teil
19.August 2012 - 30.August 2012
Türkisch/georgischer Grenzübergang, neben uns am Schalter eine fünfköpfige Familie:
„Hello, you are from Germany?“ – „Ja, und ihr seid aus dem Iran, oder?“ – „Ja, das stimmt.“ – „Da wollen wir auch noch hin auf unserer Reise.“ – „Wirklich, das ist ja toll. Also, bitte keine Angst vor dem Iran, das Problem dort sind nicht die Menschen, das Problem dort ist einzig die Regierung…“ – „Ja, das denken wir auch. Woher aus dem Iran seid Ihr denn?“ – „Wir sind aus Teheran. Und wenn Ihr im Iran seid, dann seid Ihr herzlich eingeladen, ihr könnt bei uns im Haus wohnen und wir zeigen euch alles in der Stadt.“ – „Aber…“ - „Nein, nein, ihr könnt solange bleiben, wie ihr wollt. Wir freuen uns, wenn ihr unsere Gäste seid. Habt ihr was zum schreiben? Ich gebe euch meine Telefonnummern, dann könnt ihr anrufen, wenn ihr da seid oder wenn es irgendwelche Probleme gibt.“
Die Einreise in dieses kleine Land zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer, zwischen dem Kleinen und dem Großem Kaukasus verläuft schnell und problemlos, an dem von uns gewählten Grenzübergang herrscht so gut wie kein Verkehr. Wir fahren durch ein erstes Dorf - und werden ein wenig nachdenklich. Alles ist verfallen oder heruntergekommen, die Menschen wirken ernst und verschlossen. Ein riesiger Kontrast zur soeben verlassenen Türkei. Nach wenigen Kilometern erreichen wir Achalziche, die mit rund 20.000 Einwohnern größte Stadt im südlichen Samzche-Dschawachetien, wie der Bezirk hier genannt wird. Hier sieht es auf den ersten Blick etwas besser aus, die Burganlage über der Stadt ist gekonnt restauriert, Einkaufsmöglichkeiten sind vorhanden. Doch in den Gassen der Altstadt herrscht Tristesse, der Zerfall ist spürbar, kaum jemand hat Arbeit.
Übernachtungsplatz unterwegs am Fluss, ein alter Bauer holt seine Kühe von der Wiese, neben der wir stehen. Die Unterhaltung auf russisch/georgisch/bayrisch/Hände und Füße – (zusammengefasst):
„Hallo, woher seid ihr?“ – „Aus Deutschland.“ – „Ah, Deutschland, gut! Wollt ihr zu mir auf den Hof kommen zum Essen und Trinken?“ – „Vielen Dank, aber wir sind schon am kochen.“ – „Gut, aber dann komme ich später und bringe Wein. Ich treibe die Kühe nach Hause und dann komme ich wieder.“ – „Ok, das ist gut.“
Eine Stunde später leuchtet eine Lampe durch die stockdunkle Nacht, der alte Bauer kommt tatsächlich nochmal vorbei. Wir bitten ihr herein in unseren „Manni“, er hat einen prall gefüllten, abgegriffenen Rucksack dabei. Und jetzt packt er aus: selbstgekelterten Rotwein, selbstgebrauten Wodka, frisches Wasser, selbstgebackenes Brot, Käse aus eigener Produktion.
„Für euch, herzlich willkommen.“
Wir sind im Kleinen Kaukasus. Er ist die Wetterscheide zwischen der nordöstlichen Türkei und den Kaukasusländern. Häufige Niederschläge machen das Land hier grün und fruchtbar, den Menschen auf dem Land geht es deshalb besser als denen in den Städten. Die Mtkwari fräste ein tiefes Tal in das weiche Gestein, die weitläufigen Höhlenklöster von Wardzia sind dort ein lohnenswertes Ziel. Doch so klein ist der Kaukasus dennoch nicht, bis auf 3300 Meter Höhe ragen die baumlosen Berge aus den windumtosten Hochebenen. An deren Nordseite fällt das Land dicht bewaldet und mit vielen Feldern reich bestellt stufenweise ab in die weite Senke von Tiflis.
Tiflis, die Hauptstadt, ist eine Stadt der enormen Gegensätze. Es wird gebaut an allen Ecken und Enden, denn die vorhandene Bausubstanz ist überwiegend schlicht abbruchreif. Tiefe Risse durchziehen viele der alten Gebäude, die meist nur notdürftig abgestützt sind. Moderne Hochhäuser fangen an, das neue Tiflis zu prägen, quirlige Einkaufsmeilen durchziehen schon viele Viertel. Aktuellste Fahrzeugmodelle der Oberklasse, die den Aufschwung der neuen Zeit symbolisieren, rasen an bettelnden Menschen vorbei, die davon vergessen wurden.
Wir übernachten oberhalb der Stadt auf dem Parkplatz einiger Ausflugslokale. Mit den wartenden Taxifahrern kommen wir ins Gespräch, einer von ihnen spricht recht gut Englisch:
„Wo fahrt ihr denn als nächstes hin?“ - „Nun, erst wollen wir zum Kasbek, und dann weiter nach Swanetien, zum Bergsteigen.“ - „Ja, dort ist es besonders schön. Und wenn ihr dort seid, dann besucht unbedingt meine Familie. Hier, ich schreib Euch den Namen auf, Ihr müsst dann einfach im Dorf nach ihnen fragen. Und ich schreib auch auf, dass Ihr Freunde von mir seid, dann seid Ihr dort jederzeit unsere Gäste.“
Von Tiflis führt eine Straße direkt nach Norden, in Richtung Russland. Es ist die Georgische Heeresstraße, und wie der Name schon sagt, vormals zu strategischen Zwecken durch den Großen Kaukasus getrieben. Das Land hier oben, nach dem Dshwari-Pass, es heißt Chewsuretien, ist wild und rau, und im Winter meist abgeschnitten vom Rest der Welt. Hohe Berge säumen die Passstraße, der markanteste und größte von ihnen ist der Kazbek, stolze 5033 Meter hoch. Nur wenige, ärmliche Dörfer liegen an der Straße, aber auch ein Skigebiet mit leidlicher Struktur. Ursprüngliche Seitentäler führen zu fast verlassenen Weilern, alte Wehrtürme zeugen von der kriegerischen Vergangenheit. In Stepanzminda dann ist fast Schluss, danach geht es nur noch durch die Darjal-Schlucht zur Grenze nach Russland. Dorthin fahren wir aber ein andermal…
Georgien - 2.Teil
30.August 2012 - 09.September 2012
Unterwegs auf Georgiens Straßen – oder: Der Mut zur Lücke
„Als der liebe Gott die Autos an die Völker dieser Welt verteilte, sprang der Georgier in sein Fahrzeug und brauste davon, bevor er erklärt bekam, wie er sich damit verhalten sollte…“
Wir halten an einem geschlossenen Bahnübergang auf der Hauptachse durch Georgien. Der Verkehr ist dicht, viele LKW`s stehen vor uns und auf der gegenüberliegenden Seite. Plötzlich fahren die ersten PKW`s auf der Gegenfahrbahn vor bis an die Schanke, denn man kann ja nach dem Öffnen derselben sogleich an den langsameren LKW´s vorbei starten. Die Gegenseite macht es genauso. So stehen wir uns also auf einer einspurigen Straße in Zweierreihen erwartungsvoll gegenüber.
Als der Schrankenwärter die Strecke nach der Durchfahrt des Zuges freigibt, nimmt das Chaos seinen Lauf. Die superschlauen PKW-Piloten in den ersten Reihen treffen sich natürlich sofort mitten auf den Bahngleisen, und jetzt wir gedrängelt, was das Zeug hält. Aus Zweispurig wird Dreispurig, und über die angrenzende Wiese kommen auch noch ein paar ganz Schlaue, die sich dann natürlich vorne am Übergang wieder hinein drängeln müssen. So richtig interessant wird es allerdings, als die Jungs in den 40-Tonnern sich langsam, aber bestimmt anfangen, ihren Weg zu bahnen. Plötzlich blitzt Panik in den Augen der Drängler auf, denn mit einem süffisanten Grinsen in den Gesichtern rollen die Könige der Überlandstraße unaufhaltsam vorwärts. Und wir mittendrin…
Wie von Geisterhand löst sich irgendwann dieser gordische Knoten, der seinen Ursprung damit nachgewiesenermaßen nicht in der griechischen Mythologie, sondern an georgischen Bahnübergängen hat.
Überholt wir grundsätzlich. Auch wenn es keinen Sinn macht, weil man nach dem Überholvorgang eigentlich sofort abbiegen muss, an der nächsten Straßenverkaufsbude stehen bleibt, oder weil man gar nichts sieht. Denn frei ist, wenn kein Gegenverkehr in Sicht, was einige Meter vor einer Kurve ja meist so ist. Und eingeschert wird erst, wenn das Weiße im Auge des Entgegenkommenden sichtbar wird. Oder gar nicht, weil der Entgegenkommende, eingeschüchtert durch ständig warnendes Aufblinken des Überholenden, soweit nach rechts ausweicht, dass es passt.
Überholt wird auch gerne zu dritt nebeneinander. Ist der Überholer zu langsam, findet sich sicher noch einer, der nun beide Kontrahenten gleichzeitig überholt. Dann wird es allerdings auch dem trotzdem meist vorhandenen Gegenverkehr zu eng und die ganze Aktion endet mit hektischen Ausweichmanövern. Anschließend wird neu sortiert und der Spaß beginnt von Vorne.
Interessant gestaltet wird dieses Rennen von unzähligen Kühen, die dem georgischen Autofahrer in Sachen Intelligenz in nichts nachstehen. Diese Kühe liegen bevorzugt auf Brücken (wegen der guten Aussicht), stehen meist auf dem Mittelstreifen (um sich beide Grünstreifen als Futterquelle zu sichern) und traben dann stoisch über die Fahrbahn, wenn sich Fahrzeuge nähern (allerdings ist die Laufrichtung im Vorfeld nicht zu bestimmen). Der dann einsetzende Kuhslalom, verbunden mit gleichzeitigem Überholen und Ausweichen des Gegenverkehrs, stellt so die höchste Form des georgischen Straßenverkehrs dar.
Die Ampeln in den Städten sind durch die sinnvolle Einrichtung einer rückwärts zählenden Anzeige ergänzt, die dem wartenden Kraftfahrer signalisiert, in wie vielen Sekunden die Ampel auf Grün umschaltet. Diese Anzeige wird jedoch in der Regel zum Countdown der ungeduldig mit dem Gaspedal Spielenden, die aus einer zwei- oder dreispurigen Straße im Nu eine bis in den Gegenverkehr hinein genutzte, breite Startbahn machen, da jeder auf der Pole Position stehen möchte. Es wird dabei so eng aneinander gehalten, dass der üblicherweise lässig aus dem Fenster hängende Arm meist auch gleich beim Nachbarn mit aufliegt.
Nach 3 – 2 – 1 wird es sofort grün, und der kreuzende Verkehr tut gut daran, bereits vollständig die Startlinie verlassen zu haben. Als Fußgänger ist es jetzt am besten, gar nicht mehr in der Stadt zu sein…
Swanetien, das Land der Wehrtürme
Weltabgeschieden und sehr schwer erreichbar, eine eigene Sprache und eine uralte Kultur, das war und ist Oberswanetien. Ein langgezogenes, tiefes Tal schneidet sich hier durch die nahezu nicht zu durchdringende Bergwelt des westlichen Kaukasus. Die Piste dorthin ist rau und im Winter für lange Zeit nicht passierbar. Uralte Wehrtürme prägen das Bild der Dörfer an den steilen Hängen, eine einmalige und deshalb auch schützenswerte bauhistorische Besonderheit.
Rund 130 kleinste Weiler und Dörfer verstecken sich in dieser wilden Landschaft, mit Mestia als Zentrum. Und hier setzt nun auch die Zukunft ein. Seit einem Jahr ist die Piste dorthin zur Straße ausgebaut, die Dörfer auf dem Weg sind jetzt angeschlossen an die Welt. Der Tourismus wird Mestia fest in Beschlag nehmen, mit Hotels, Liftanlagen und Restaurants. Die Wege werden befestigt, die Häuser und Höfe renoviert. Für die dort lebenden Menschen ein klarer Fortschritt, doch die lange bewahrte Ursprünglichkeit wird dadurch schnell verloren gehen.
Diese Ursprünglichkeit findet man noch in Ushguli und den Weilern an der Piste dort hinauf. Es ist das höchste, ganzjährig bewohnte Dorf in Europa, obwohl bis zu acht lange Monate der Schnee die Menschen dort oben fest in seinem eisigen Griff hält. Das Leben in 2200 Metern Höhe, am Fuß der wilden 5000er, ist sehr hart und entbehrungsreich. Mit einfachsten Mitteln wird dennoch Land- und Viehwirtschaft betrieben, werden zur Basis zum Überleben. Mit Pferden und Ochsen, mit schon immer genutzten Sensen und selbstgebauten Holzschlitten wird der Boden bearbeitet. Schweine und Kühe sichern die Nahrung, denn Obst und Gemüse gedeihen hier oben in den kalten Nächten nicht mehr.
Noch ist die Piste nach Ushguli nur unter erschwerten Bedingungen zu bewältigen, aber schon werden Besucher mit Allradkleinbussen für einen Tagesausflug in drei Stunden nach oben gekarrt. Doch abends, wenn die meisten im Hotel in Mestia den Staub der beschwerlichen Reise abgeduscht haben, dann kehrt dort oben im Schatten der alten Wehrtürme die seit Jahrhunderten gewohnte Ruhe ein. Nur das Geklapper der Pferdehufe und das Quieken der Ferkel unterbricht dann bisweilen die majestätisch anmutende Szenerie, in der die eisgepanzerten Bergriesen in den letzten Sonnenstrahlen erhaben leuchten…
Georgien - 3.Teil
10.September 2012 - 20.September 2012
Unterirdisch…
Geheimnisvolle Karsthöhlen von noch unbekannter Weite und Tiefe durchziehen die Erde unterhalb der fruchtbaren Hügellandschaft am nördlichen Rande Imeretiens. Über eine unendlich lange Zeitspanne suchte sich hier das Wasser von den Höhen des Großen Kaukasus seinen Weg hinunter in die feuchtwarme Tiefebene, in der schon seit Menschengedenken Wein und Früchte gedeihen.
Erst in neuerer Zeit wurden die meisten dieser gut versteckten Höhlen wieder entdeckt, obschon darin gefundene, prähistorische Gegenstände von frühmenschlicher Nutzung zeugen. Einige dieser Höhlen sind nur Spezialisten und Forschern zugänglich, zu gefährlich sind deren Begehung oder auch die nötigen Tauchgänge. Doch so manche dieser natürlichen Wunderwerke sind heute bequem zu erleben und bieten so einem fantastischen Einblick in die Unterwelt.
Die größte dieser zugänglichen Höhlen ist die „Prometheus Cave“. Ein Eingang wurde tatsächlich erst vor rund 30 Jahren zufällig gefunden. Und was die Forscher damals vorfanden, das war wirklich sensationell. Eine gut über 20 Kilometer lange Tropfsteinhöhle, bis zu 80 Meter tief unter der Oberfläche. Unzählige beeindruckende Felsformationen, geschaffen in Jahrmillionen stetigem Wandel, begeisterten die Experten.
Zwei Kilometer davon sind heute für jedermann zugänglich. Und es ist gelungen, mit raffinierten, aber unaufdringlichen Lichteffekten eine farbenfrohe Inszenierung zu schaffen, die in Ergänzung mit leise gespielter, klassischer Musik eine lebendige Sinnesreise der ganz außergewöhnlichen Art bietet. Die filigranen Werke der Natur werden so immer wieder anders in Szene gesetzt, das Auge entdeckt bei jeder Bewegung Neues.
Die Natur beweist sich hier wieder einmal als ein vom Menschen unerreichbarer Baumeister.
Überirdisch…
Die Menschen in Georgien sind auch heute noch mit ihrer Kirche eng verbunden. Der Respekt und die Gläubigkeit sind allerorten sichtbar, man spürt, dass der Glauben einen zentralen Platz in der Gesellschaft einnimmt.
Bereits im 4.Jh. brachte die heute als Heilige verehrte Nino aus Syrien die christliche Lehre in die Region und überzeugte die damaligen Herrscher von der neuen Religion. Im 12.Jh. war es schließlich König Dawit IV, genannt „der Erbauer“, der das Land mit unzähligen Kirchen, Klöstern und Akademien überzog und es damit bis in die heutige Zeit hinein prägte.
Diese Bauwerke, immer wieder zerstört und immer wieder aufgebaut und erweitert, sind über das ganze Land verteilt. Sie überraschen an außergewöhnlichen Orten, wachen über die Regionen und sind auch heute noch Anziehungspunkte für die Gläubigen und die Besucher. Meist sind sie ganz schlicht in der Ausstattung, lassen sie damit dem Betrachter jedoch Raum zur inneren Ruhe.
Ergreifend sind die Gottesdienste in diesen historischen Mauern. Schwermütige Chöre und flackernde Kerzen, betörender Weihrauch und mit Inbrunst gemurmelte Gebete in einer uns fremden Sprache machen diese Momente zu beeindruckenden Erinnerungen. Klare Rituale werden streng eingehalten, es hat sich kaum etwas verändert in all den Jahrhunderten. Und so wird auch der nicht streng religiös lebende Mensch mitgerissen von der stimmungsvoll praktizierten Feier.
Menschlich…
Der Lada als automobilistisches Glanzstück sowjetischer Ingenieurskunst ist auch heute vor allem in ländlichen Gegenden allgegenwärtig und aus dem dortigen Straßenbild nicht wegzudenken. Er hat die gesamte Weiterentwicklung des Automobils in den letzten 30 Jahre nahezu schadlos und unverändert überstanden und stellt heute praktisch das mobile Bindeglied zwischen dem Eselsgespann und dem in Europa ausgemusterten alten Opel dar.
Der Lada ist ein Fahrzeug für alle Gelegenheiten. Für die Fahrt zum Markt passen bis zu acht ausgewachsene Menschen in das Innere, der Kofferraum bietet Platz für zwei junge Kälber (stehend) oder vier ausgewachsene Schafe (liegend) oder auch acht frische Schweinehälften (gestapelt). Der Lada hat praktisch keine Zuladungsbeschränkung oder gar eine Dachlastobergrenze. Es lässt sich bequem eine komplette Couchgarnitur samt Tisch oder drei Meter hoch aufgestapelte, volle Obstkisten auf dem stabilen Stahldach transportieren.
Der Lada hat auch eine enorme Bodenfreiheit und Geländegängigkeit. Während die Besitzer moderner Geländewagen noch darüber sinnieren, ob sie vor ausgewaschenen und steilen Wegstrecken die Geländeuntersetzung samt Differentialsperren zuschalten sollen, ist der vollbepackte Lada schon längst locker an ihnen vorbeigehoppelt.
Der Lada benötigt auch keinen Kundendienst. Selbst mit kaputten Teilen, restlos abgefahrenen Reifen oder fehlender Mechanik zieht er souverän seine Bahn. Zum Einsparen von Benzin oder Gas kann man gefahrlos die Zündung ausschalten und ihn bergab rollen lassen, aneinander schabende und schleifende Teile unterstützen die maroden Bremsen meist wirkungsvoll. Sicherheitsgurte und Kopfstützen sind selten vorhanden, wären bei den fehlenden passiven Sicherheitskomponenten jedoch im Ernstfall sowieso sinnlos.
Der Lada ist konkurrenzlos günstig im Unterhalt, denn Ersatzteile gibt es ohne Ende auf jedem Markt. Er fährt sich auch sehr umweltfreundlich, denn trotz fehlendem Katalysator oder unerreichbaren Abgasnormen wird er praktisch nie verschrottet und belastet somit aufgrund seiner unendlichen Lebensdauer die fragile Natur kaum.
Eine Fahrt in einem Lada ist für uns ein „deja vu“ an längst vergangene Zeiten. Hier jedoch wird sie noch lange zum gegenwärtigen und auch zukünftigen Alltag gehören.
Fazit Georgien
Als wir hörten, dass so mancher Reisende gut und gerne vier Wochen in diesem kleinen und übersichtlichen Land zugebracht hatte, fragten wir uns, was um alles in der Welt man hier so lange macht. Heute, nach fünf eigenen erlebnisreichen und spannenden Wochen zwischen Schwarzem Meer und dem Großen Kaukasus, inmitten tropisch-schwülen Ebenen und auf stürmischen Hochplateaus, zwischen reichen Weinbergen und kargen Gletscherregionen, müssen wir zugeben, dass selbst diese fünf Wochen bei weitem nicht genug waren.
Georgien ist ein Land voller Gegensätze. Die Armut der meisten Menschen ist allgegenwärtig. Auf dem Land ist die Selbstversorgung die einzige Chance zum Überleben, denn bezahlte Arbeit gibt es so gut wie nicht. So kommen die meisten einigermaßen über die Runden, ergänzen ihre Haushaltskasse mit dem Straßenverkauf ihrer Produkte. In den Städten dagegen prallen der offensiv zur Schau gestellte, neue Wohlstand und die Hoffnungslosigkeit der Vergessenen schonungslos aufeinander.
Die Menschen wirken auf den ersten Blick verschlossen, geprägt von der täglichen Mühsal des Überlebens, kaum ein Lachen ist in den ernsten Gesichtern auszumachen. Doch hinter dieser unnahbar scheinenden Fassade verbirgt sich eine unglaubliche Herzlichkeit. Ist man erst mal hinter diese Fassade gelangt, dann gibt es kein Halten mehr. Urplötzlich bricht Fröhlichkeit durch all das Alltägliche, wie Knospen unter der wärmenden Sonne erblühen die Menschen und reißen uns mit.
Dieses Emotionale wird zu unserem ständigen Reisebegleiter, prägt uns in unserem Empfinden. Wir fangen an, dieses Land zu verstehen, zu lieben. Wir genießen jetzt die uns anfangs chaotisch erscheinenden Märkte, ertragen mit stoischer Geduld kilometerlange Schlaglochpisten, passen uns dem tagtäglichen Wahnsinn des Straßenverkehrs an, kippen mit unveränderter Miene randvolle Wodkagläser in uns hinein und lachen mit den Menschen, die wir und die uns kaum verstehen.
Oft sitzen wir inmitten saftig-grüner Wiesen, klare Gebirgsbäche plätschern neben uns steil hinunter in enge Täler, die vor eisgepanzerten 5000ern in riesigen Gletscherbrüchen enden. Halb verlassene Dörfer, nur sehr mühsam erreichbar, sind die Heimstatt der verbliebenen Bergbauern, harte und lange Winter prägen deren Leben. Unten, in den feucht-schwülen Tiefebenen Innergeorgiens dagegen gedeihen sogar Bananenstauden, an den Gestaden des Schwarzen Meeres wiegen sich schlanke Palmen im stetigen Wind. In den weiten Flussniederungen Ostgeorgiens ist der Weinanbau die Lebensgrundlage, die Winzereien erzeugen feine Tropfen.
In den Dörfern ist Vorsicht geboten, Kühe und Schweine, Enten und Gänse, Hühner und Schafe bestimmen das Straßenbild, zu schnell ist eines der wertvollen Tiere unter die Räder geraten. Fließend Wasser ist in den meisten Haushalten ein Fremdwort, Gasleitungen verlaufen abenteuerlich überirdisch, nur Strom fließt in einem undurchsichtigen Kabelwirrwarr in jede erdenkliche Ecke. Die Häuser sind überwiegend marode, es fehlen die Mittel zur Sanierung. Nur in einigen prestigeträchtigen Vorzeigeorten oder an den Hauptplätzen der Städte wird auf Teufel komm raus modernisiert, manchmal allerdings zu viel des Guten.
Georgien ist ein phantastisches Reiseland. Nie wurden wir behelligt, belästigt oder gerieten in eine unangenehme Situation. Jeder unserer Übernachtungsplätze wurde sofort akzeptiert, oft genug wurden wir beschenkt. Jeder freute sich, dass wir ihr Land bereisen und dabei kennen lernen.
In den bisher bereisten Ländern haben wir uns wohl gefühlt, hier fühlten wir uns zuhause!
| Türkei - 5.Teil
21.September 2012 - 30.September 2012
Georgisch/türkischer Grenzübergang in den Bergen zwischen Akhaltsikhe und Posof
Der georgische Stempelbevollmächtigte verabschiedet uns mit einem freundlichen „Auf Wiedersehen“, nachdem alle Formalitäten erledigt sind. Auf der türkischen Seite treten wir vor den Tresen der „Polis“, um unsere Pässe kontrollieren und abstempeln zu lassen. Vom Küchengehilfen wird den beiden Beamten soeben Tee gebracht. „Ah, Tee, man sieht, wir sind wieder in der Türkei“, bemerkt Conny mit ihrem gewinnenden Lachen im Gesicht. Prompt reichen die Beamten ihre Teegläser mit einem herzlichen „Willkommen“ an uns weiter, während sie entspannt unsere Pässe bearbeiten.
Dann geht es zum Zoll, natürlich mit den Teegläsern in der Hand. Auch dort erst mal ein sehr freundliches „Merhaba“, bevor die Fahrzeugdaten in meinen Pass eingetragen werden. „Du bist Thomas?“ – „Ja“ – „Dann sind wir ja gleich alt. Aber ich habe schon eine Wampe.“ – Conny meint zu ihm: „Aber sieh her, er hat auch eine.“ Der Zöllner steht auf und beugt sich über seinen Tresen in Richtung meiner Gürtellinie. „Aber die ist doch ganz normal für unser Alter…“ – (Danke!) – Ich beruhige ihn: „Aber schau, dafür habe ich schon weniger Haare auf dem Kopf“ Der Zöllner prüft zweifelnd seinen Hinterkopf: „Sind doch genauso wenig wie bei Dir!“ Dann stutzt er plötzlich, als er in Conny`s Pass ihr Alter entdeckt. „Aber Deine Frau ist viel jünger als meine, und schöner ist sie auch…“ Grinsend gibt er mir unsere Pässe zurück und verabschiedet uns mit besten Wünschen für unsere Weiterreise.
Draußen bei „Manni“ warten bereits die beiden Mädels(!) für die Fahrzeugkontolle auf uns, die natürlich unser entspanntes Gespräch von vorhin mitbekommen haben. „Na, habt ihr was zu verzollen?“ – „Neee, nur Campingzeug im Auto…“. Mann, kann ich auf solche Fragen immer ohne mit der Wimper zu zucken lügen, denn unsere in Georgien aufgefüllten Wein- und Biervorräte sprengen den erlaubten Umfang natürlich beträchtlich. „Na prima, dann ist ja alles in Ordnung.“ Ich bekomme noch einen Stempel und ein Autogramm in den Pass. „Äh, Entschuldigung, also jetzt mal ganz ohne Kontrolle, dürften wir mal einen Blick in das Auto werfen…? Nur mal so…?“ Den Wunsch erfüllen wir den beiden Damen doch gerne, allerdings vorsichtshalber nur ohne Außentreppe. Anerkennend ob des Gesehenen verabschieden sie uns mit einem freundlichen „Have a nice trip!“
Warum kann es nicht an jeder Grenze so sein? Es wäre so einfach…
Zwischen den Pontischen Bergen und dem Kackar-Gebirge
Diese beiden hoch im Nordosten der Türkei aufragenden Gebirgszüge riegeln das inneranatolische, karge Hochland vom schwül-feuchten Klima des Schwarzen Meeres so wirkungsvoll ab, dass auf den beiden Seiten dieser herrlichen Bergwelt völlig verschiedene Landschaftsformen entstanden sind. Während auf der dem Landesinneren zugewandten Seite steppenartige Hochflächen das Bild prägen, begeistern die sich zum Meer hinunter neigenden Flanken mit üppigem Grün und nie versiegenden, glasklaren Flüssen und Bächen, können aber auch mit wochenlangem Nieselregen und dichten Nebelschwaden nerven. Es herrscht zeitweise ein derart subtropisches Klima, das hier sogar Tee angebaut werden kann.
Im Kackar-Gebirge wird fast die 4000er-Grenze erreicht, doch nur selten gelingt eine Besteigung der schroffen Gipfel, denn das Wetter ist hier so unbeständig, dass auch wir, obwohl wir nach einer regenreichen Nacht bei herrlichem Sonnenschein losgehen, dann später im Schneegestöber und Nebel unterhalb der Gipfelregionen die Tour abbrechen müssen. Doch man versöhnt sich schnell mit den Gegebenheiten, denn die einsamen Täler, tief in die erodierende Berglandschaft von den reißenden Wassermassen eingeschnitten, begeistern das Auge. Winzige Dörfer schmiegen sich an die steilen Hänge, meist nur über wackelige Hängebrücken von der Straße aus zu erreichen. Doch diese einmalig schöne Gegend ist ernsthaft bedroht, denn sie wird massiv umgestaltet durch riesige Staudammprojekte und einen überzogenen Straßenbau.
Die Pontischen Berge im Hinterland von Trabzon sind lieblicher, weicher. Unzählige Hochalmen und Streudörfer zersiedeln die bewaldeten Höhen, die rund 2000 Meter erreichen. Weit schweift der Blick von hier oben über die endlos scheinenden Küstengebirge, schemenhaft erkennt man die Städte weit unter am Meer. Es herrscht eine aufgeräumte Ruhe hier oben, nichts ist zu spüren von der Hektik der Welt dort unten. Angenehme Temperaturen lassen die heißen Sommer erträglich werden, doch im Winter wird es so kalt, dass die meisten Bewohner es vorziehen, nach unten in die Täler zu gehen.
Am Meer selbst ist es schwer, ein idyllisches Plätzchen zu finden, zu direkt führt die vierspurige Schnellstraße immer am Ufer entlang. Badetourismus gibt es hier nicht, und so genießen wir unsere winzige Bucht, die wir dann doch noch entdecken, dann auch ganz für uns alleine. Kleine Fischerboote dümpeln in Ufernähe vor sich hin, freche Möwen sitzen um uns herum und lauern auf Abwechslung in ihrem Speiseplan und abends versinkt die Sonne als glutroter Feuerball zwischen kleinen Felseninseln im spiegelglatten Wasser.
Die Menschen hier, sie sind unglaublich gastfreundlich, bewirten uns, lassen uns teilhaben an ihrem Leben. Faruk und Semih, Ziya und Zübeyde, und all die anderen, die uns willkommen heißen und sich um unser Wohl sorgen, sie lassen uns sofort wie zuhause fühlen und wir trennen uns nach einigen Tagen nur sehr schwer von so viel Herzlichkeit.
Armenien – 1. Teil
1.Oktober 2012 - 7.Oktober 2012
Die Einreise
Als wir innerhalb kurzer Zeit unsere Visa im Pass haben und sich daraufhin der erste Schlagbaum hebt, sind wir noch der Meinung, dass die Einreise nach Armenien ein Kinderspiel wird. Doch weit gefehlt!
Der bürokratische Irrsinn nimmt seinen Lauf mit der zollbehördlichen Registrierung von „Manni“ und der zu löhnenden Straßenbenutzungsgebühr. Zwei Schalter für den gesamten Grenzverkehr sind auch nicht gerade üppig, auch wenn sich der Andrang heute in Grenzen hält und ich nur einen LKW-Fahrer vor mir habe, der mit dem Prozedere gerade fertig wird. Mein Beamter ist jedoch sehr freundlich, aber auch sehr gewissenhaft, was man jederzeit gerne auch mit umständlich übersetzten darf.
So werden die Daten von „Manni“ mühsam vom Fahrzeugschein in ein Computerformular übertragen, wobei auf der Suche nach dem armenischen Kürzel für „Camper“ minutenlang immer wieder ein dicker Wälzer durchgeblättert wird. Nachdem sich unser sich redlich mühender Zöllner endlich entschieden hat, was er in die entsprechende Spalte einträgt, entschuldigt er sich, dass er jetzt mal eben nach hinten müsse, da ein Kollege heute Geburtstag hat und es jetzt was zu essen gäbe. Sein Schalternachbar schließt sich ihm an, und so stehe ich gemeinsam mit einem halben Dutzend LKW-Fahrern etwas perplex vor den nun geschlossenen Schaltern.
Aus der angekündigten Minute wird natürlich locker eine halbe Stunde, was die inzwischen ganz schön angefressenen LKW-Fahrern nicht so prickelnd finden, da sie sich ja nicht wie wir auf gemütlicher Weltreise, sondern im Arbeitseinsatz befinden. Doch so langsam füllt sich mein Zollformular mit für mich undefinierbaren, armenischen Schriftzeichen, und ich darf mit insgesamt neun Zetteln zum Kassenschalter, um die Straßenbenutzungsgebühr einzubezahlen.
Nun, der Kollege ist natürlich nicht da, erscheint auch nach geduldigem Warten nicht, so dass mein Zollinspektor ihn schlussendlich suchen geht. Eine weiteres Viertelstündchen später tauchen die beiden wieder auf, die LKW-Fahrer kriegten inzwischen die Krise, da in der Zwischenzeit der Zollschalter natürlich wieder geschlossen wurde. Ich darf nun endlich meine € 40 abdrücken und den Fahrzeugbeschauer aufsuchen, um die leibliche Abfertigung von „Manni“ voranzubringen. Jetzt aber hilft uns der Geburtstag des Kollegen, denn auf eine Fahrzeugkontrolle wird zugunsten der Kaffeetafel praktischerweise verzichtet, und so kann ich mich zur finalem Stempelorgie bei meinem freundlichen Zollhäuptling einfinden, der sich sofort routiniert durch sämtliche Durchschläge stempelt, selbige sortiert und abheftet und mir meine Exemplare mit einem freundlichen „Auf Wiedersehen“ überreicht.
Nach nur zwei geduldigen Stunden hebt sich also auch der zweite Schlagbaum und wir sind drin! Wofür wir allerdings eine Straßenbenutzungsgebühr bezahlen mussten, erschließt sich uns nicht so recht, denn für das, was wir zum Befahren vorfinden, sollten wir eigentlich eine Fahrzeugabnutzungspauschale ausbezahlt bekommen…
Die Klosterstraße
Verteilt über das ganze Land, warten in Armenien unendlich viele Kirchen und Klöster auf den interessierten Besucher. Doch entlang der Klosterstraße im herrlich grünen Nordosten, zwischen der Kreisstadt Vanadzor und der georgischen Grenze, versteckt auf den steilen Plateaus über dem tief in seinem schmalen Bett dahin sprudelnden Debed und in den dichten Bergwäldern der lange Zeit schwer zugänglichen Provinz Tavusch, da reihen sich einige der größten und schönsten Sakralbauten der vergangenen Jahrhunderte wie Perlen an einer Schnur auf. Wir entscheiden uns für fünf dieser bedeutenden Zeugnisse kirchlicher Vergangenheit, darunter die beiden zum Weltkulturerbe ernannten Klosteranlagen von Sanahin und Haghpat.
Am Rand des gleichnamigen Dorfes, hoch über dem Tal des Debed, da verbirgt sich das alte Kloster von Sanahin hinter riesigen, uralten Bäumen. Fast mystisch wirkt die Stimmung auf uns, als wir durch die verwinkelten Gebäude wandeln, im Halbdunkel über Jahrhunderte alte Grabplatten stolpern und die modrig-feuchte Luft des Herbstes einatmen, der sich bereits in dem alten Gemäuer eingenistet hat. Wir sitzen lange unter den knorrigen Bäumen, deren bunte Blätter sachte auf uns herunter schweben und von einer runzeligen Alten mit einem selbstgebundenen Reisigbesen umständlich von den moosigen Platten gekehrt werden.
Haghpat dagegen, auf gleicher Höhe wie Sanahin erbaut und in schemenhafter Weite erahnbar, wirkt offener, luftiger. Auch dieses Kloster liegt am Rande seines gleichnamigen Dorfes, doch kein Schatten verdunkelt die herrlichen Reliefs und Kreuzsteine, kein Herbstlaub bedeckt den kurzen, grünen Rasen, der die schweren Mauern umgibt. Diese scheinen fast zu schweben, so lebendig wirken Kirchen und Kapellen, der freistehende Glockenturm und die Gebäude des Klosters. Eine heitere Stimmung erfasst uns ob der in weiche Sonnenstrahlen getauchten Bauten und wir verweilen gerne auf dem frischen Grün vor den fast schwarzen Steinen.
Ein Stückchen weiter, da thront die Wehrkirche von Akhtala auf einem schlanken Felsen und wacht über das ihr anvertraute Tal. Das Innere der mächtigen Kirche beeindruckt uns mit byzantinisch-georgischen Fresken in mit fast unwirklicher Kraft leuchtenden Farben. Die Einmaligkeit der reichhaltigen Ausschmückung der Wände unterscheidet diese geweihte Stätte von allen anderen in Armenien und verleiht den hohen Mauern eine berührende Lebendigkeit.
Drüben in Tavusch, auf der anderen Seite der bunten Herbstwälder, da verbirgt sich das kleine Bergdorf Gosh. Nichts würde den Reisenden dorthin verschlagen, wachte da nicht das Kloster Goshavank inmitten der armseligen Häuser und Hütten. Nirgendwo sonst findet man solch fein gearbeitete Ornamentik in Kreuzsteinen, Reliefs und Friesen, keine andere Kirche ist reichhaltiger mit so bedeutenden Inschriften bestückt. Es sind diese kunstvoll ausgearbeiteten Relikte, die Goshavank für uns zu einem besonders eindrucksvollen Erlebnis werden lassen.
Zu guten Letzt finden wir noch den Weg nach Haghartsin. So bunt und leicht präsentiert sich der Herbstwald an den Flanken um das idyllisch versteckte Kloster, dass das aufwändig renovierte Ganze schon fast zu wuchtig auf uns wirkt. Erst die lichten Strahlen der wärmenden Morgensonne, die den Steinen das Schwere nehmen, lassen uns ein wenig versöhnlicher werden, und wir erkennen das Besondere an Haghartsin – seine außergewöhnlich idyllische Lage.
Voskepar
Es ist nur ein leichter Taleinschnitt, der heute die Grenze zwischen den nach wie vor in angespannter Nachbarschaft lebenden Azeris und Armeniern andeutet. Und doch ist der Einschnitt viel tiefer, als dieser kleine Graben es zeigen kann.
Mitten durch das Dorf Voskepar verläuft dieser Graben, zerbombt und verbrannt die ehemals schmucken Häuser auf dem nun azerbaidjanischen Gebiet, trotzig wieder neu aufgebaut auf der armenisch gebliebenen Seite. Einzig eine kleine Kirche steht einsam neben der genau auf der Grenze verlaufenden Straße, fast mahnend, und doch verletzlich wirkend.
Wir ahnen nichts von der grotesken Situation, als wir vor der Kirche anhalten und über azerbaidjanisches Gebiet zu ihr hinauf laufen. Wir winken den Soldaten, die in Stellungen an der Flanke der Kirche wachen, verursachen dadurch hektische Achtsamkeit auf der anderen Seite der Hügel, befinden uns plötzlich zwischen den Fronten. Der Rufkontakt unter den sich belauernden Parteien entschärft die Situation, nur harmlose Touristen, auf der Suche nach einem ruhigen Übernachtungsplatz.
Den verkneifen wir uns jetzt hier, zu viel erinnert ein wenig an die ehemalige innerdeutsche Grenze, auch wenn damals in solch einem Fall schon längst geschossen worden wäre. Unsere Suche führt uns schließlich in den heiteren Kreis fröhlicher Menschen, die uns aufklären über die hier das Leben bedrohenden Auswirkungen der Politik. Und so lustig dieser Abend auch für uns war, so bedrückend ist der bleibende Eindruck dieser zerstörenden Grenze durch Voskepar, als wir am nächsten Tag über den Pass das Tal wieder verlassen.
Armenien - 2. Teil
8.Oktober 2012 - 16.Oktober 2012
Die Klosterrallye geht weiter…
Wir werden allmählich zu Kirchenfans. Also nicht so mit Beten und Kreuzschlagen und den ganzen anderen Ritualen christlicher Frömmigkeit. Nein, es ist eher das Historische, das uns in seinen Bann zieht. Wir fangen an, Details zu erkennen, lernen, was ein Gavith und ein Chatsch´khar, ein Refektorium und ein Tambour ist. Wir begeistern uns nicht mehr nur an der Lage einer Kirche oder eines Klosters, sondern verstehen jetzt auch, warum diese frühmittelalterlichen Gemäuer so begeistern können. Und so picken wir uns weiterhin die interessantesten Sakralbauten Armeniens heraus – und wir werden nicht enttäuscht.
Das Felsenkloster von Geghard ist sicher das Stimmungsvollste auf unserer Reise durch Armenien. Die Lage am Talschluss der Azatschlucht, die tief in die Felsen gearbeiteten Kapellen und Gruften, der Schein der unzähligen Kerzen, die weihrauchgeschwängerte Luft in den geheimnisvollen Räumen – all das ergibt ein unglaublich eindrucksvolles Ganzes.
Kommt man nach Khor Virap, ist das eigentliche Ziel die majestätische Kulisse dahinter. Die immense Wucht des Ararats erfüllt den gesamten Horizont, das pittoresk auf einem kleinen Hügel thronende Kloster wird zur Randerscheinung. Und doch ist es genau diese Nebenrolle, die es so anziehend macht, denn welches Kloster kann schon ein solch göttliches Bühnenbild bieten.
Noravankh dagegen lässt einen nicht mehr so schnell los. Hell und freundlich empfängt es den Gläubigen in seinem lichten Innenhof, begeistert mit unzähligen, fein herausgearbeiteten Reliefs, zeigt sich detailverliebt und beschwingt. Hier wird die wilde Berglandschaft zum Rahmen für ein wundervolles Kleinod.
Tathev schließlich wirkt wuchtig, nicht so fein und elegant wie die anderen Klöster. Hier begeistert eher die Lage an sich, direkt am steilen Abbruch des Canyons, den der Vorotin geschaffen hat. Wasserfälle rauschen unter der Anlage geräuschvoll in die tiefe Schucht, die dumpfe Glocke der Kirche hallt weit zwischen den aufragenden Bergen.
Wie sagte Conny, als wir nach Armenien einreisten: „Oje, so viele Klöster und Kirchen, gibt es in Armenien auch noch etwas anderes zu sehen?“ Jetzt, gegen Ende unserer Runde durch dieses kleine Land bemerkt sie plötzlich: „Was, wir besuchen heute kein Kloster? Was machen wir denn dann?“ Man sieht, wir haben wirklich Gefallen gefunden an den Relikten mittelalterlichen Lebens.
Das Leben in Armenien heute
Es sind die enormen Gegensätze, die uns hier auffallen. High-Heels und Lumpensammler, Nobelkarosse und Pferdewagen, Luxushotel und Blechhütte, alles liegt sehr dicht beieinander. Die meisten Menschen kämpfen jeden Tag buchstäblich ums überleben, haben keine 100 Euro für den Monat zur Verfügung. Und doch fällt uns auf, dass sie viel lachen, Musik klingt aus jeder Ecke, man arrangiert sich mit den Gegebenheiten, die man nicht ändern kann. Trotz aller Armut, es wird nicht gebettelt, weder vor den Kirchen, noch an den roten Ampeln in den Städten, so wie wir es in Georgien erlebten.
Es ist die unglaubliche Gastfreundschaft, die uns hier so begeistert. Die Menschen freuen sich, dass wir da sind, uns für ihr kleines Land, das in jüngerer Vergangenheit so gebeutelt wurde durch Erdbeben und Krieg, interessieren. Wir werden wie selbstverständlich eingeladen, wo immer sich die Gelegenheit ergibt, man reicht uns frisch Gegrilltes und Gekochtes, egal, ob es dann noch für alle reicht oder nicht. Die Verständigung ist meist nicht ganz einfach, viele Menschen sprechen nicht einmal russisch, geschweige denn eine der uns geläufigen Sprachen. Und armenisch, nun, das ist sowohl in Wort als auch in Schrift für uns einfach unergründlich. Und doch verstehen wir uns, denn es reicht oft ein Lachen, und alles ist gut…
Es ist die stolze Ehrlichkeit, die uns hier so gut gefällt. Nie haben wir das Gefühl, beim Einkaufen mehr zu bezahlen als die Armenier selbst, vorsichtige Anfragen, was eine Dienstleistung kostet, werden mit einer Handbewegung vom Tisch gewischt, Geld will man nicht von uns. Egal, wo wir uns zum Übernachten hinstellen, wir sind immer willkommen, jeder beteuert, dass es vollkommen sicher sei. Bleiben wir am Straßenrand stehen, werden wir gefragt, ob alles in Ordnung ist oder ob wir Hilfe brauchen.
Aber es ist auch die Perspektivlosigkeit, die sich vielerorts widerspiegelt in extrem hoher Arbeitslosigkeit, in maroden Wohnblöcken, in verrotteten Industrieruinen. Es herrscht auffallend wenig Verkehr auf den kaputten Straßen, wer kann sich bei diesen Bedingungen schon ein Fahrzeug leisten. Wir sehen entweder Jahrzehnte alte Autos und LKWs aus sowjetischer Zeit oder aber das Modernste, was der Weltmarkt hergibt. Und rundherum verdunkelte Scheiben sind absolut hip, beim klapprigen Wolga ebenso wie beim aufgemotzten Jeep.
Für uns ist das Leben hier fast peinlich billig, während unserer zwei Wochen im Land haben wir für Lebensmittel gerade einmal 75 Euro ausgegeben. Für die Menschen, die hier leben, jedoch ein unglaublich hoher Betrag. Und doch klappt alles irgendwie…
Wir waren sehr gerne hier.