Iran? Iran!

Reifenbarrikaden qualmen, Tränengasschwaden wabern durch die Straßen der Städte, Menschen flüchten vor wahllos auf sie einprügelnden Polizisten, Schüsse peitschen auf.

farbenprächtige Stimmung in Mashhads Heiligem Bezirk
farbenprächtige Stimmung in Mashhads Heiligem Bezirk
überraschende Einladung bei Amir und seiner Familie
überraschende Einladung bei Amir und seiner Familie
traumhafter Übernachtungsplatz im Schatten der Oase Nayband
traumhafter Übernachtungsplatz im Schatten der Oase Nayband
traditionelle Herstellung von Dattelsirup
traditionelle Herstellung von Dattelsirup
Nayband, die sicherlich schönste Oase in Iran
Nayband, die sicherlich schönste Oase in Iran
alte Karawanserei in malerischer Umgebung
alte Karawanserei in malerischer Umgebung
Blick vom Dach der alten Karawanserei
Blick vom Dach der alten Karawanserei
im Basar von Shiraz
im Basar von Shiraz
eine bunte Gewürzmischung...
eine bunte Gewürzmischung...
prächtige Inszenierung islamischer Kultur
prächtige Inszenierung islamischer Kultur
Gedenken an die Märtyrer des Iran/Irak Krieges
Gedenken an die Märtyrer des Iran/Irak Krieges
Felsrelief von Bishapur
Felsrelief von Bishapur
Häuserzeile im alten Zentrum von Tabriz
Häuserzeile im alten Zentrum von Tabriz

Reifenbarrikaden qualmen, Tränengasschwaden wabern durch die Straßen der Städte, Menschen flüchten vor wahllos auf sie einprügelnden Polizisten, Schüsse peitschen auf.

 

Wir sitzen bei Freunden in Mashhad, sind in Sicherheit, betrachten das erschreckende Szenario in der Nachrichtensendung eines Exilsenders, der verbotenerweise über alle Bildschirme flimmert. Auslöser waren diesmal keine organisierten Proteste des Mittelstandes, sondern spontane Wutausbrüche der unteren, ärmeren Schichten der Bevölkerung, die gegen die unbotmäßigen Benzinpreiserhöhungen protestierten.

Wenige Tage später ist der Spuk auch schon wieder vorbei, die Staatsmacht hat alles unter Kontrolle, auch mit Hilfe einer zehntägigen, totalen Internet-Blockade. Bilanz: über 300 Tote und fast 10.000 Verhaftete, die sich nun Folter und unvorstellbaren Haftbedingungen gegenüber sehen…

 

Die meisten Menschen in Iran kämpfen mehr denn je mit den Einschränkungen, die aufgrund der internationalen Wirtschaftssanktionen das Land knebeln. Interessanterweise befürworten viele Iraner diese Sanktionen, denn sie erkennen natürlich die Versuche des Regimes, nukleare Waffensysteme zu schaffen. Und sie sehen darin die einzige Möglichkeit, das Regime zu Änderungen zu zwingen. Andererseits gibt es genügend Menschen im Land, die darunter leiden, denn es grassiert eine immer weiter steigende Arbeits- und Hoffnungslosigkeit.

Dabei sind sich die Iraner sehr uneins, was ihre politische Zukunft angeht:

„Die Mullahs müssen weg, sie saugen uns aus, drangsalieren uns, sind unfähig, das Land zu regieren!“ Wir hinterfragen kritisch, wie es denn mit Alternativen aussehen würde, ob es Konzepte gäbe für die Zeit danach. Betretenes Schweigen…

„Wir wollen den Schah zurück, sein Sohn hat schon signalisiert, dass er bereit wäre, zurückzukommen, um uns zu führen!“ Wir klären auf, dass rückwärtsgerichtete Politik nicht dazu taugt, den Iran in eine bessere Zukunft zu führen, dass das Pahlevi-Regime keinen Deut besser wäre als die jetzigen Machthaber. Erinnern an die Grausamkeiten der Geheimpolizei Savak, an die räuberische Unterschlagung der Ressourcen.

„Wir brauchen eine demokratische Verfassung, wie ihr sie bei Euch in Deutschland habt!“ Wir bremsen die Euphorie, denn das iranische Volk ist so sehr in die verschiedensten ethnischen Gruppierungen aufgesplittert, dass der Weg zu einer demokratischen Staatsführung ein sehr langwieriger und wahrscheinlich auch blutiger wäre. Demokratie will gelernt sein, braucht Zeit und eine aufgeklärte, moderne Gesellschaft. Und davon ist der Iran noch viele Generationen entfernt…

 

Die Iraner sind stolz: auf ihr Land, auf ihre Geschichte, auf ihre Traditionen. Doch sie sind dabei auch sehr nach innen ausgerichtet. Die Abschottung während der letzten Jahrhunderte, die grausamen Diktatoren der Vergangenheit und Gegenwart, die festgefahrenen Traditionen der Gesellschaft verhindern ein echtes Verändern. Und die iranische Gesellschaft ist bequem geworden. Ein Mittelstand hat sich herausgebildet, eine breite Schicht der Bevölkerung genießt ein nicht so schlechtes Leben. Die Angst vor dem Regime ist greifbar, also ziehen sie sich in ihre Familienverbände zurück, Egoismus und Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren Mitmenschen breitet sich immer mehr aus.

„Wir müssten auf die Straße gehen, zum Demonstrieren. Aber das ist gefährlich. Ich habe Familie, habe Kinder. Ich habe einen Job zu verlieren. Das kann ich nicht riskieren. Das müssen die anderen machen…“ Klar, ist verständlich. Wir geben allerdings zu bedenken, dass Veränderung ohne persönlichen Einsatz nicht funktioniert.

Frust und Hoffnungslosigkeit lässt immer mehr junge, gut ausgebildete Menschen das Land verlassen. Sie wissen, dass sie in der Welt willkommen sind, denn sie wollen arbeiten, wollen etwas schaffen. Dem Iran hilft dies jedoch nicht…

 

Für ausländische Betrachter ist es schwer vorstellbar, dass all diese in Tschador verhüllten oder Kopftuch tragenden Frauen nicht unterdrückt sein sollen. „Wenn das Regime dies nicht mehr vorschreiben würde, dann würden über 90 Prozent aller Frauen sich sofort davon befreien!“ Was für ein Irrglaube! Das Kleiden in Tschador und das Bedecken der Haare mit einem Kopftuch hat eine sehr lange Tradition in Iran. Das hat grundsätzlich nichts mit dem Mullah-Regime zu tun. Einzig das strikte Muss ist besonders den jungen Frauen ein Dorn im Auge. Doch persönlich nachgefragt, würde so gut wie keine in der Öffentlichkeit ohne diese schützenden Kleidungsstücke auftreten. Denn die Männerwelt ist nicht daran gewöhnt, Frauen ohne bedeckte Haare oder gar mit entblößten Armen zu sehen. Die Belästigungen wären letztlich ein viel größeres Übel.

 

Der Iran besticht durch eine unglaubliche Vielfältigkeit seiner Natur: Eine grandiose Bergwelt mit dutzenden Viertausendern und einem Damavand, der mit 5.671 Metern in mächtige Höhen vorstößt, endlose Wüsten mit riesigen Sandfeldern und skurrilen Felsformationen, urwalddichte Wälder an den Abhängen des Kaspischen Meeres, weite Sandstrände und Klippen an den Gestaden des Persischen Golfes. Doch leider erkennt der Iraner nicht den Wert seiner Umwelt. Die Verschmutzung derselben ist erschreckend, Strände, Wälder, Picknickplätze Allerortens sind dermaßen vermüllt, dass es oft schwerfällt, einen sauberen Quadratmeter zu finden.

 

Jeder jüngere Iraner hängt den ganzen Tag am Smartphone. Das unterscheidet ihn nun nicht wirklich von den Altersgenossen überall auf der Welt. Erstaunlich ist allerdings, dass sein Wissen über die Welt da draußen erschreckend mangelhaft ist, obwohl er, permanent online, sich jederzeit alle relevanten Informationen holen könnte. Doch selbst bei diesen Generationen zeigt es sich, dass sie sich gerne als den Mittelpunkt der Welt wähnen, und Selbstkritik ist ihnen völlig fremd. Diese Selbstüberschätzung verhindert, dass sie sich bewusst öffnen können. So bleibt oft ein durchaus naives Erscheinungsbild übrig…

 

„Herzlich willkommen in Iran! Kommt mit zu uns nach Hause! Wir freuen uns, Euch als unsere Gäste bei uns zu haben!“ Mashhad, Kerman, Shiraz, Bushehr, Isfahan, Teheran, Tabriz. Wir tingeln durchs Land, und täglich erleben wir eine Gastfreundschaft, die ihresgleichen sucht. Die Herzlichkeit uns ausländischen Gästen gegenüber ist oft erdrückend, ja anstrengend. Vor allem, wenn eine Konversation mangels Sprachkenntnissen nicht möglich ist. Passt dies jedoch, ist es unglaublich schön!

Wir lieben diese Iraner. Wir lieben dieses Land. Wir fühlen uns hier tatsächlich inzwischen ein wenig zuhause. Wir sind schon zum vierten Mal für längere Zeit hier im Land. Aber dies alles blendet uns nicht, verstellt nicht unseren Blick auf die Realitäten, die der Iraner selbst meist nicht gerne sehen möchte. Doch wenn es der Gesellschaft nicht gelingt, sich zu öffnen, dann wird sie auch keine Veränderung schaffen können. Mit unseren Gesprächen und Diskussionen versuchen wir, neue Gedanken zu ermöglichen, andere Wege zu erkennen. Doch letztlich liegt es auf ihrem Tisch, ihre Probleme anzugehen…

 

Noch viel mehr Infos und Bilder findet Ihr wie immer im Tagebuch ab 10.November - click hier

 

Liebe Grüße an Euch alle

Conny & Tommy

heiliger Bezirk in Shiraz