Vom Hohen Atlas in den Anti-Atlas

Die meist einsam gelegenen Dörfer im Hohen Atlas waren früher nur auf beschwerlichen Maultierpfaden erreichbar, bevor erste Pisten in das grobe Gestein geschlagen wurden. Im Winter unter hohen Schneemassen begraben, waren sie nach der Schneeschmelze oft wochenlang unpassierbar. Heute führen immer öfter schmale Teerbänder oder zumindest noch deren Reste hoch hinauf

unterwegs auf der Piste von der Todraschlucht ins Dadestal
unterwegs auf der Piste von der Todraschlucht ins Dadestal
unterwegs auf der Piste von der Todraschlucht ins Dadestal
unterwegs auf der Piste von der Todraschlucht ins Dadestal
Nomaden auf ihrem Weg von der Quelle zurück zu ihren Zelten
Nomaden auf ihrem Weg von der Quelle zurück zu ihren Zelten
Manni auf spannender Fahrt durch ein enges Oued
Manni auf spannender Fahrt durch ein enges Oued
gefährlich-spannende Piste, von Wasser und Steinen zerstört
gefährlich-spannende Piste, von Wasser und Steinen zerstört
gefährlich-spannende Piste, von Wasser und Steinen zerstört
gefährlich-spannende Piste, von Wasser und Steinen zerstört
typische Dörfer im südlichen Hohen Atlas
typische Dörfer im südlichen Hohen Atlas
Couscousessen in Mannis Schatten
Couscousessen in Mannis Schatten
Houssaine Baali - ein ganz besonderer Mensch
Houssaine Baali - ein ganz besonderer Mensch
Painted Rocks bei Tafraoute
Painted Rocks bei Tafraoute

Die meist einsam gelegenen Dörfer im Hohen Atlas waren früher nur auf beschwerlichen Maultierpfaden erreichbar, bevor erste Pisten in das grobe Gestein geschlagen wurden. Im Winter unter hohen Schneemassen begraben, waren sie nach der Schneeschmelze oft wochenlang unpassierbar. Heute führen immer öfter schmale Teerbänder oder zumindest noch deren Reste hoch hinauf auf die kargen Pässe, sichern betonierte Furten die Durchfahrten der Oueds. Und doch gibt es sie noch, die abenteuerlichen Verbindungen zwischen den Tälern und deren Dörfern. Wir haben ein paar von ihnen gefunden…

 

Pistenabenteuer…

Von der Todra-Schlucht hinüber zum Dades-Canyon rumpelte man einst über scharfkantige Gesteinsstufen, querte in gefährlicher Schräglage so manchen erodierten Hang. Davon bleibt man heute allerdings verschont, wir fahren entspannt die gut trassierte Piste bis hinauf zu ihrem Scheitelpunkt auf 2635 Meter Höhe. Es bleibt dabei genügend Muße, die wüstenhafte Berglandschaft zu genießen, während die wenigen, hier lebenden Nomaden freundlich grüßen. Kehrseite der Medaille – schnelle Geländewagen mit Dutzenden von guidegeführten Touristen ziehen lange Staubfahnen hinter sich her und verwandeln die einst einsame Passhöhe in eine schnatternden Caféhausatmosphäre.

Vom Dades-Tal ins Rosental zweigt eine unmarkierte Piste direkt hinter dem Weiler Ait Youl nach Westen ab. Langsam holpern wir durch das Oued, es wird immer enger, und schließlich findet „Manni“ gerade noch so einen Durchschlupf im ausgetrockneten Flussbett. Jetzt schlängelt sich die gut befestigte Piste in weiten Schleifen über die sanfte Hügellandschaft, ab und an wird ein weiteres Oued gequert, und plötzlich stehen wir vor einem gewaltigen Tal, dem Ait M`ghoun, das sich hier als enger werdende Schlucht quer durch den Hohen Atlas zieht. Ein Bilderbuchblick bietet sich uns, ein sattgrünes Band aus Palmen und Feldern füllt jeden Quadratmeter dort unten zwischen den steinigen Hängen.

Durch das Rosental in das Land der Kasbahs führt nun unser weiterer Weg. Serpentinen mit engen Radien geleiten uns hinunter ins Ait M`ghoun, wir passieren ein staubiges Dorf im Talgrund, die Furt ist schlammig, aber seicht. Hinter dem nächsten Bergkamm dann eine Überraschung, eine nicht erwartete Teerstraße schont „Manni“ für rund 20 Kilometer, dann endet sie abrupt mitten in einem kleinen Dorf. Unter den tief hängenden Ästen einer Obstplantage und einem weiteren Nest hindurch, immer begleitet vom freundlichen Winken der Menschen, finden wir den Weg hinauf auf eine steinige Hochebene und folgen der knüppelharten Strecke zwischen den hoch aufragenden Bergen. Auch hier leben vereinzelt Nomaden, in primitiven Höhlenwohnungen Schutz suchend vor der sengenden Sonne und den eiskalten Winterstürmen. Viele quer zu unserer Fahrtrichtung verlaufende Wasserläufe behindern unser Fortkommen, oft müssen wir uns den Weg abseits der eigentlichen Piste über das Geröllfeld suchen. Die Kurven an den Berghängen sind stellenweise so eng und ausgewaschen, dass wir froh sind über „Mannis“ kurzen Radstand.

Und dann stehen wir am oberen Tand eines canyonartigen Oueds. Hier müssen wir hinunter. Zu Fuß erkunden wir den ersten Teil der steilen Strecke, es sieht nicht sehr vertrauenswürdig aus, die Piste scheint nicht mehr unterhalten zu werden. Das Wasser hat ganze Arbeit geleistet, viele kleine Murenabgänge zwingen zu waghalsigen Schrägfahrten am Hang, die Randbefestigungen sind unterspült oder gar ganz weggerissen. Doch für „Mannis“ Spurbreite müsste es ausreichen. Wir wagen es, Conny zu Fuß voran, um einzuweisen, „Manni“ mit untersetztem Getriebe für die richtige Traktion und ich angespannt und konzentriert. Meter für Meter tasten wir uns vorwärts, verdammt eng und auch schräg wird es. „Gib Gas, gib Gas, der hintere Reifen hängt schon in der Luft, „Manni“ stürzt ab!“ Doch ein kurzer Druck auf das Gaspedal befreit und aus dieser durchaus prekären Situation und „Manni“ hat wieder festen Boden unter den Schlappen. „Mehr nach links, mehr nach links, Du bist schon am Abgrund!“ Doch mehr links geht nicht, da ist der Berg. Noch dreimal wiederholt sich dieser Drahtseilakt zwischen Schrägfahrt am Berghang und Abbruchkante in die Schlucht, doch dann haben wir das Gröbste geschafft! Conny zittert am ganzen Leib, ich bin noch zu angespannt, um zu realisieren, wie knapp es wirklich war, nur „Manni“ wummert souverän, als sei nichts gewesen, gleichmäßig vor sich hin…

Die Besichtigung der weiteren Strecke bringt Erleichterung, nur noch eine etwas haarige Passage fordert die Nerven etwas, dann sind wir unten im Oued. Es fängt leicht an zu regnen. Nicht auszudenken…

Leichtsinn, Unsinn, unnötig, da doch Alternativrouten vorhanden wären? Oder einfach eine Herausforderung, kalkulierbares Risiko, Lust auf Abenteuer? Ich weiß es nicht…

 

Zwischen Tradition und Moderne

Wir werden spontan eingeladen. Fouad und Khadija mit ihren drei Kindern nehmen uns mit zu ihrer Familie in den Palmenhain von Skora. Es wird eine Art Opferfest für die sechsjährige Noor gefeiert, ihr zu Ehren wurde ein Hammel geschlachtet. 40 Tage nach der Geburt bis zum zehnten Lebensjahr ist die Zeitspanne, in der dieses Fest begangen werden muss. Streng getrennt halten sich Männer und Frauen mit den Kindern in verschiedenen Räumlichkeiten auf. Ein Islamgelehrter ist geladen, er und auch andere der anwesenden Gäste tragen in regelmäßigen Abständen Suren aus dem Koran vor, das Ganze ist sehr feierlich und ernst. Aus den Räumen der Frauen und Kinder klingt immer wieder helles Lachen, rhythmisches Klatschen und Gejohle der Kinder zu uns herüber. „Die haben es gut, die feiern Party…“, flüstert mir Fouad unbemerkt von den anderen ins Ohr. „Bei uns Männern ist immer alles so ernst.“ – „Gehst Du eigentlich auch in die Moschee zum Beten?“ frage ich den in Marseille aufgewachsenen, modern gekleideten Mann. „Ach was, das ist alles nur noch Tradition für mich, wenn ich hier im Urlaub bei der Familie bin.“ Nach Stunden des Betens und Erzählens wird das Festessen gereicht, das Hammelfleisch, garniert mit Pflaumen und Nüssen schmeckt vorzüglich, gegessen wir mit der rechten Hand, Brotstücke dienen als Besteck. Der Abend endet abrupt, ein Zusammensitzen nach dem Essen ist nicht üblich, die Herren verabschieden sich und verschwinden in der Dunkelheit.

Am nächsten Tag besuchen sie uns am Stausee, wo wir Quartier bezogen haben. 20 Personen drücken sich in den Schatten von „Manni“, es gibt ganz traditionell zubereiteten Couscous. Khadija, eine aufgeschlossene Frau, wirkt ein wenig wie ein Fremdkörper zwischen den Mitgliedern ihrer Familie, auch ihren Kindern merkt man den gewohnten europäischen Alltag deutlich an. Es ist nicht leicht für sie, dieser Spagat zwischen Tradition und Moderne, das spürt man, und sie freuen sich schon auf ihr neugebautes Haus in den Vororten von Marseille…

 

Ein marokkanisches Märchen

Wir schreiben das Jahr 1964. Oder 1966. Man weiß es nicht genau, denn es wird keine Statistik, kein Familienbuch geführt in der postkolonialen Ära. Ein winziges, in den Bergen über der Todra-Schlucht abgelegenes, nur über steile Pfade erreichbares Dorf, Tizgui. Hier wird Houssaine Baali geboren, als das siebte Kind der Familie, die eine traditionelle Lehmkasbah bewohnt, ihre Ziegen und Schafe hütet und bescheidene Landwirtschaft betreibt. Keines der Kinder, geschweige denn die Eltern, kann lesen oder schreiben, hatten nie eine Schule besucht. Als Houssaine acht Jahre alt ist, wird in Marokko die allgemeine Schulpflicht eingeführt, unten im Tal steht das neue Gebäude. Die Mutter jammert und klagt, als der kleine Houssaine nun jeden Tag dort hinunter marschiert, sie hat Angst, dass man ihm seine Berberidentität dort nimmt. Doch er setzt sich durch, meistert die Grundschulklassen mit Bravour, doch der weitere Weg in die Mittelschule bleibt ihm vorerst verwehrt, da er nicht nachweisen kann, wer er wirklich ist und wie alt er ist. Erst drei Jahr später gibt ein Onkel überzeugend einfach ein selbstgewähltes Geburtsdatum bei den Behörden an, und jetzt endlich darf Houssaine ins Internat nach Tinerhir.

Drei Jahre lernt er dort, holt verbissen die verlorenen Jahre auf, und mit mittlerweile rund 15 Jahren schicken sie ihn ins Gymnasium nach Boumalne Dades. Dort mach er drei Jahre später sein Abitur. Die Schule hatte einen amerikanischen Englischlehrer, Mr. Killy, und der legt ihm nun nahe, nach Marrakech auf die Universität zu gehen, um die englische Sprache zu studieren. Dieser Schritt ist ein riesiger, doch nach vier weiteren Jahren legt er seinen Bachelor ab –  mit 22 Jahren er ist nun Englischlehrer!

Was für ein Werdegang!

Er geht nach Ouarzazate, der aufstrebenden Stadt am Rande des Hohen Atlas und unterrichtet seitdem bis heute an der dortigen Schule. Zufällig trifft er englische Professoren mit ihren Studenten, wird mehrmals nach England eingeladen, gründet auf eigene Kosten gemeinsam mit Sheila Barry, einer in Marokko verheirateten Engländerin, eine Sprachenschule und ruft Schüleraustauschprojekte mit verschiedenen Schulen in Europa ins Leben, damit die jungen Menschen aus England, Deutschland und der Schweiz einen Einblick in den marokkanischen Alltag erhalten.

Seine Familie lebt weiterhin in Tizgui, niemand dort kann bis heute lesen oder schreiben…

 

Noch viel mehr Infos und Bilder findet Ihr wie immer unter „reiseberichte“ und dann „ tagebuch“

Liebe Grüße an Euch alle

Conny & Tommy

 

Manni auf spannender Fahrt durch ein enges Oued

Manni auf spannender Fahrt durch ein enges Oued