Ruanda – Vorzeigeland Afrikas?

Die Schweiz Afrikas, so wird das kleine Land am Lake Kivu oft genannt. Was steckt da wohl dahinter? Und wie haben die Menschen den grauenvollen Genozid aus dem Jahr 1994 verarbeitet? Ist es wirklich eines der saubersten Länder der Welt? Oder ist alles nur ein weiteres afrikanisches Märchen?

jeder Quadratmeter in Ruanda ist bewirtschaftet
jeder Quadratmeter in Ruanda ist bewirtschaftet
das Fahrrad ist das übliche Transportmittel
das Fahrrad ist das übliche Transportmittel
der Kindergarten beim Morgensport
der Kindergarten beim Morgensport
östliche Vollbartmeerkatze / L´Hoest´s Moutain Monkey
östliche Vollbartmeerkatze / L´Hoest´s Moutain Monkey
Feldwirtschaft im ganzen Land
Feldwirtschaft im ganzen Land
jedes Tal, jeder Berg ist bewirtschaftet
jedes Tal, jeder Berg ist bewirtschaftet
herrliche Ausblicke auf den Lake Kivu
herrliche Ausblicke auf den Lake Kivu
tropische Fjordlandschaften am Lake Kivu
tropische Fjordlandschaften am Lake Kivu
Plantagenwirtschaft am Lake Kivu
Plantagenwirtschaft am Lake Kivu
in Kibuye am Lake Kivu
in Kibuye am Lake Kivu
Bootsausflug auf dem Lake Kivu
Bootsausflug auf dem Lake Kivu
Ausblick vom Napoleon Island
Ausblick vom Napoleon Island
Flughunde zu Hauf in allen Bäumen
Flughunde zu Hauf in allen Bäumen
Lake Ruhondo im Morgenlicht
Lake Ruhondo im Morgenlicht
Morgenstimmung am Lake Bulera
Morgenstimmung am Lake Bulera
Die Virunga Vulkane, wie sie schöner nicht sein können!
Die Virunga Vulkane, wie sie schöner nicht sein können!
Was für ein herrlicher Morgen!
Was für ein herrlicher Morgen!
am Lake Bulera
am Lake Bulera

Die Schweiz Afrikas, so wird das kleine Land am Lake Kivu oft genannt. Was steckt da wohl dahinter? Und wie haben die Menschen den grauenvollen Genozid aus dem Jahr 1994 verarbeitet? Ist es wirklich eines der saubersten Länder der Welt? Oder ist alles nur ein weiteres afrikanisches Märchen?

 

Völkermord

Wir schreiben den 6. April 1994. Die Maschine des ruandischen Präsidenten Habyarimana wird beim Anflug auf Kigali von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen. Diese kam, Jahre später nachgewiesen, aus dem Camp der Präsidentengarde, bewacht von der ruandischen Armee und französischen Soldaten. Das war der Startschuss zu einem schon lange heimlich und perfekt vorbereiteten Massaker, das seinesgleichen in der Geschichte der Menschheit sucht. Innerhalb von nur drei Monaten wurden eine Million(!) Tutsis und sympathisierende Hutus auf grauenvolle Weise massakriert. Oft zusammengetrieben in Kirchen und Schulen wurden dort hauptsächlich Frauen und Kindern mit Macheten die Schädel gespalten, Babys an die Wände geschleudert. Die Opfer wurden mit Gewehrkolben erschlagen und oft bei lebendigem Leib verbrannt. In den blutrot gefärbten Flüssen trieben zehntausende Leichen, über die Straßen legte sich der bestialische Gestank verwesender Körper.

Als die Weltgemeinschaft endlich reagierte, waren zudem drei Millionen Ruander auf der Flucht, das Land versank in Anarchie und Chaos. Nur sehr langsam erwachten die Menschen aus der paralysierenden Starre. Bis heute nagen diese drei Monate an der Psyche des gesamten Volkes. Die Ethnie der Tutsis wurde zu einem großen Teil ausgelöscht, mit ihr nahezu die gesamte Elite der Gesellschaft. Einundzwanzig Jahre tagte im tansanischen Arusha der Internationale Gerichtshof, um die Schuldigen zu verurteilen. Dies kostete ein Millionenvermögen und die Zahl der Verurteilten ist verschwindend gering. Die Angehörigen der Opfer werden dagegen mit einer monatlichen Rente von umgerechnet sieben(!) Euro abgespeist…

 

Genozid Memorial Sites

Im ganzen Land mahnen Gedenkstätten der Opfer des Genozid von 1994. Am eindrucksvollsten werden die damaligen Geschehnisse in Murambi dargestellt. 50.000 Menschen wurden im April `94 in dieser Region bestialisch ermordet und in schnell ausgehobenen Massengräbern verscharrt.

Als das Grauen sein Ende fand, exhumierte man die Opfer, um sie zu identifizieren und angemessen zu bestatten. Bis heute werden die Gebeine und Schädel der Erschlagenen professionell gereinigt und in der neuen Grabstätte beerdigt.

Das kleine Museum veranschaulicht auf informativen Tafeln die Geschichte Ruandas und die Geschehnisse, die letztlich zum vernichtenden Genozid führten. Originaldokumente und Aussagen von Zeitzeugen beweisen den Hergang, benennen die Schuldigen. Besonders nachdenklich macht dabei die nie ganz aufgeklärte Rolle Frankreichs, deren in Ruanda stationierte Armee die für die Massaker Verantwortlichen trainierte und unterstützte.

„Ich habe Angst, dass sich alles wiederholt“, gesteht uns die junge Dame, die für die Gedenkstätte verantwortlich ist. „Wenn unser Präsident Kagame in ein paar Jahren nicht mehr zur Verfügung steht, dann weiß niemand, ob der brüchige Friede zwischen Hutus und Tutsis hält. Zuviel Grausames, zu viel nicht Geklärtes lastet auf uns allen. Und dann genügt ein kleiner Funke, um einen erneuten Flächenbrand zu entzünden.“

Agitatoren hätten leichtes Spiel mit der ungebildeten Mehrheit des Volkes. Die Gefahr des Aufwiegelns liegt schwer auf den Schultern der Verantwortlichen. Und es bleibt zu hoffen, dass die Weltgemeinschaft dann nicht wegsieht wie damals im Frühjahr 1994…

 

Lake Kivu

Fjordlandschaften und Inselwelten wie in Norwegen, grüne Hänge und Berge wie am Vierwaldstätter See, sauberes Wasser und attraktive Strände wie bei uns zuhause – der Lake Kivu ist ein wirkliches Kleinod. Zu Recht gilt die Aussage, es sei der landschaftlich schönste See des zentralafrikanischen Grabenbruchs. Die Städte Gisenyi und Kibuye haben sich von den grausamen Morden des Genozids weitgehend erholt, der Tourismus hat langsam wieder Fuß gefasst. Schnucklige Hotelanlagen, architektonisch angenehm ins Landschaftsbild eingefügt, teilen sich die bewaldeten Ufer mit den Villen reich gewordenen Ruander und Kongolesen. Seit vor ein paar Jahren die neue Asphaltstraße den See auf ruandischer Seite erschlossen hat, ist der Freizeitboom nicht aufzuhalten.

Ganz anders dagegen die Situation auf der kongolesischen Seite: Chaos und Unsicherheit, Dreck und Flüchtlingslager, rivalisierende Banden und geldgierige Warlords. Kein Pflaster für unsereins…

Sitzt man entspannt auf der Aussichtsterrasse eines netten Hotels oder unter schattigen Bäumen auf einer der unzähligen Inselchen vor der Küste, dann ist kaum vorstellbar, welch unterschiedliche Welten hier aufeinanderprallen. Und dabei vergisst man schnell, dass man sich im schwer kontrollierbaren Zentralafrika befindet.

 

Virunga-Vulkane

Zwischen dem Nordufer des Lake Kivu und dem Südwesten Ugandas bilden die bis zu ihren meist wolkenverhangenen Gipfeln aufgereihten Vulkane ein beeindruckendes Panorama.

Mit Sonnenaufgang sind wir draußen. Die Präsenz der Virunga-Vulkane, wolkenlos und zum Greifen nahe, erschlägt uns fast. Wir setzen uns auf einen kleinen Hügel, schräg unter uns der Lake Bulera im morgendlichen leichten Nebel, vor uns die Phalanx der sechs bewaldeten Vulkane. Direkt vor uns der markante, 4.127 Meter hohe Muhabura, gekrönt von einem eigenwilligen Häubchen. Daran anschließend Mgahinga, Sabinyo, Bisoke mit dem dahinter versteckten Mikeno. Den Abschluss der Kette bildet der 4.507 Meter hohe Karisimbi.

Hier, im Schatten dieser längst erloschenen Kraterberge, war auch die Wirkungsstätte von Dian Fossey, der bekannten, aber auch umstrittenen Primatologin und Gorillaforscherin, die 1985 in ihrer kleinen Forschungsstation brutal ermordet wurde. Ohne ihre aufopfernde, aber auch selbstzerstörende Arbeit mit den letzten Bergorillas dieser Welt, wäre heute in dieser Bergregion sicher kein Einziger dieser faszinierenden Primaten noch am Leben. Ihre Forschungen sensibilisierten die Welt, und es wurde verhindert, dass marodierende Soldaten und landsuchende Bauern diese tollen Geschöpfe ausrotteten.

Heute schützt ein Nationalpark diese Urlandschaften vor dem extrem starken Bevölkerungsdruck und der Wilderei, und es bleibt zu hoffen, dass diese außergewöhnliche Natur erhalten bleibt. Der Besuch ist stark reglementiert und exorbitant teuer. So bleibt uns leider nur der Blick von außen…

 

Fazit Ruanda

Nun, wir tun uns ein wenig schwer mit diesem Musterland Afrikas. Sicher, alles hier macht, oberflächlich gesehen, einen gut organisierten Eindruck. Die Städte und Dörfer sind wirklich extrem sauber für afrikanische Verhältnisse, ganze Heerscharen von Putzkolonnen sorgen für ein aufgeräumtes Erscheinungsbild. Plastiktüten sind seit Jahren verboten, da könnte sich so manch europäisches Land eine Scheibe abschneiden. Das Flaschenpfand ist höher, als das Getränk kostet und die Strafen für illegale Müllentsorgungen sind abschreckend hoch. Überall im Land entstehen Siedlungen mit ordentlichen Häusern, um die Menschenmassen unterzubringen. Die Fernstraßen sind in einem bemerkenswert guten Zustand, die Versorgungsmöglichkeiten sind flächendeckend. Schulen und Krankenhäuser zeugen von den Bemühungen der Regierung, das Bildungswesen und die ärztliche Versorgung zu verbessern. Das Wirtschaftswachstum ist hoch, die Investitionsfreudigkeit ausländischer Unternehmen sehr ausgeprägt. Der Weg scheint der Richtige zu sein.

Blickt man allerdings hinter die Kulissen, spricht man mit Ruandern, deren Bildungsstand und Weitblick über den berühmten Tellerrand hinaus geht, dann sieht die kleine, heile Welt schnell anders aus. Ruanda hat die mit Abstand höchste Bevölkerungsdichte ganz Afrikas. Das Land ist ein einziger Siedlungsbrei, jede noch so steile Fläche wird landwirtschaftlich genutzt und fleißig bestellt. Trotzdem reicht die eigene Produktion bei weitem nicht aus, die unfassbare Masse Mensch zu ernähren. Mindestens 30% der benötigten Nahrungsmittel müssen importiert werden, Tendenz steigend. Der gesamte Staatshaushalt ist ohne ausländische Unterstützung nicht haltbar, nahezu die Hälfte aller Finanzmittel kommen über die Entwicklungshilfen ins Land. Das hat zur Folge, dass Ruanda in hohem Maße abhängig ist von den Launen der Investoren. In der Bevölkerung entwickelte sich ein ausgeprägter Hang zum Betteln heraus, „give me money“, „give me food“ wird einem fast schon reflexartig entgegengeschleudert, sobald man sich mittels der weißen Hautfarbe outet. Ansonsten machen die Menschen eher einen sehr zurückhaltenden, ja fast schon misstrauischen Eindruck, selten kommt ein Gruß oder ein Lächeln von sich aus. Und sie wirken oftmals eigenartig tump, wie sie so vor einem stehen und einen anstarren, ohne das Gefühl zu vermitteln, dass sie verstehen, was sie da gerade sehen.

Das so hoch gelobte und von unseren Entwicklungsorganisationen großzügig unterstützte Bildungswesen ist weit davon entfernt, effiziente Ergebnisse zu liefern. Besonders auf dem Land fehlt es an kompetenten Lehrkräften für die permanent steigenden Schülermassen. Noch immer brechen über 30% der Schüler bereits nach wenigen Jahren die Grundschule ab. Und erschreckend viele Lehrer sind nicht in der Lage, in englischer Sprache zu unterrichten, obwohl alle Lehrbücher ab der vierten Klasse ausschließlich in Englisch sind. Das Ergebnis ist erschütternd.  Was für eine Farce!

Der Garant für eine aber insgesamt stabile und durchaus positive Entwicklung ist Präsident Kagame, einstmals Führer der Befreiungsarmee, die den inneren Frieden wieder herstellte. Doch dieser Frieden ist sehr wackelig. In vielen Aussagen erkennt man schnell, dass aufgrund fehlender,  ehrlicher Aufarbeitung und mangels Verurteilung zehntausender Mörder, die den Genozid durchführten, nur ein Deckel mühsam auf dem Topf gehalten wird. Die wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Ruander schwebende Frage - „Was passiert, wenn Kagame nicht mehr Präsident ist?“ – beunruhigt viele im Land. Zu Recht, denn nach wie vor sammeln sich Hutumilizen im Kongo, um irgendwann wieder zuzuschlagen.

Kagames harter Führungsstil wird einerseits gelobt, auch im westlichen Ausland gilt er als Paradebeispiel einer besonnenen Führerpersönlichkeit. Andererseits ist und bleibt er ein Autokrat, der keinerlei Opposition neben sich duldet. Doch der Mehrzahl der Ruander ist dies recht so. Und den ausländischen Investoren sowieso. „Eine Demokratie westlicher Form ist bei uns nicht umsetzbar“, erklärt der Manager eines Hotels. „Für eine demokratische Gesellschaftsform braucht es mündige Bürger, aber die haben wir nicht. Deren Bildungsstand verlangt eine starke Führung, an die sie glauben können. Dies gilt eigentlich für ganz Afrika“. Da hat er wohl recht…

Ruanda ist in einigen Bereichen sicher auf einem guten Weg. Von einem Vergleich mit der Schweiz allerdings ist das Land noch Lichtjahre entfernt…

 

Mehr Infos und Bilder findet Ihr wie immer im Tagebuch ab 31. August - click hier

 

Liebe Grüße an Euch alle

Conny & Tommy

die Virunga Vulkane